Ceviche, Samosas und Pisco Sour gehören zu den selbstverständlichen Elementen einer kulinarischen Reise nach Chile. Doch zwischen Santiago und Pucon warten auch Überraschungen wie Tiefseefisch, faustdicke Muscheln, Pebre und Pilpil.
Die ehrwürdige Markthalle wird von einer gusseisernen Konstruktion getragen. Da ist die neue Welt nicht viel anders als die alte – man denke nur an die Boqueria in Barcelona. Über den Restaurants im Mercado Central aber sind bunte Girlanden gespannt. Und während zum Auftakt unserer kulinarischen Reise durch Chile bei »Donde Augusto« die Tafel mit Spezialitäten aus dem nahen Pazifik bestückt wird, ziehen Mariachis von Tisch zu Tisch.
Wir befinden uns in Santiago, der etwas aus den Fugen geratenen Hauptstadt Chiles, und wir freuen uns auf eine erste Begegnung mit der heimischen Küche. Luis serviert Ceviche, ein Gericht aus rohem Fisch oder Meeresfrüchten, die in Zitrone, Koriander und Chili eingelegt werden. Über die Urheberrechte streiten die Chilenen ebenso mit den Nachbarn aus Peru, wie im Falle des Pisco Sour. Der allgegenwärtige Aperitif aus Traubenmostdestillat, Limettensaft, Zuckersirup und Eiweiß wird hier in schmalen, randvollen Gläsern gereicht.
Kulinarische Reise durch Chile: Faustdicke Miesmuscheln auf dem Markt
Später folgen faustdicke Miesmuscheln (Choritos) und kleine Krabben mit Pilpil, einer scharfen Sauce. Authentisch und ohne Schnickschnack, obwohl die Markthallen nicht ganz frei von Touristen sind. Schließlich führt jede kulinarische Reise durch Chile auch in die Sechsmillionenstadt.
Als Luis den unprätentiösen Sauvignon Blanc »Don Luis« vom Weingut Cousino Macul nachgießt, erzählt er in passablem Deutsch von seiner Zeit in Hamburg, wo er eine Weile gearbeitet hat. »Tolle Stadt. In Sankt Pauli auf dem Markt gibt es auch leckeren Fisch.« Nun aber müssten wir endlich den Congrio probieren.
Zur Bohème ins Barrio Bellavista
Niemand anders als Nationaldichter Pablo Neruda hat eine Ode auf den Fisch von barracudahaften Ausmaßen geschrieben, der auf Deutsch als Seeaal bekannt ist. Und tatsächlich ist das weiße, zarte Fleisch, das hier »a la plancha« (also vom Grill) serviert ist, delikat.
Inspiriert von dem üppigen Mahl, zieht es uns ins Barrio Bellavista. Wieder so ein Stück Vorzeigesüdamerika: Flache Kolonialbauten, die bunt sind wie die Gemälde von Frida Kahlo, und die hübsche Restaurants wie das »Azul Profundo« oder »La Bohéme« beherbergen.
Mehr Bars als Schlafzimmer
Bellavista ist das Bohemien-Viertel Santiogos – und natürlich hatte auch Chiles einziger Literaturnobelpreisträger hier seine Zelte aufgeschlagen. Auf einer Anhöhe befindet sich das verschachtelte Hauptstadtdomizil des Dichters, das mittlerweile zu einem Museum umgebaut wurde. Es ist ein Kuriositätenkabinett, das von der blinden Sammelwut des Dichters zeugt: Ob Muscheln, Gläser oder Fotos von Weggefährten – es mangelt an nichts. Herausragendes Merkmal aber ist laut Museumsführer Gonzalo: »Es gibt in diesem Haus mehr Bars als Schlafzimmer.«
Am nächsten Tag nehmen wir Kurs auf Westen, wo wir nach knapp zwei Stunden Fahrt die wohl schönste Stadt des Landes erreichen. Vor Eröffnung des Panama-Kanals war Valparaiso nach der Umrundung von Kap Hoorn die erste Anlaufstelle im zivilisierten Teil der Pazifikküste – und bis heute hat die Stadt ihre ganz eigene Aura: Sie ist auf 45 Hügeln errichtet, auf denen sich bunte Häuser, steile Gassen und Blumen zu einem ebenso unverwechselbaren wie melancholischen Gesamtensemble zusammenfügen.
Einmal um die Welt in Valparaiso
»Wenn wir alle Treppen Valparaisos begangen haben, sind wir um die ganze Welt gereist«, hat Pablo Neruda über Valpo gesagt, wie es die Einheimischen zärtlich nennen.
Die Seefahrervergangenheit und der einst florierende Handel mit Salpeter haben Geschäftsleute aus allen Teilen der Welt hierhin gebracht. Es gab ein englisches Viertel, ein deutsches und ein italienisches – am Paseo Yugoslavo lebt sogar der Name eines längst verblichenen Landes fort.
Die wackligen Standaufzüge von Valparaiso
Michael Arnold ist aus Thüringen nach Valparaiso ausgewandert. Er bietet hier als »The German Pirate« Führungen an. Während wir mit einem wackligen »Ascensor« den Cerro Alegre hinauffahren – einst gab es in Valparaiso 29 dieser Standaufzüge – erzählt er, dass die Stadt bis vor zehn Jahren völlig heruntergekommen war.
2003 aber hat die UNESCO Teile der Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt – und seitdem gibt es Hoffnung. Jetzt kaufen Investoren die verfallen Villen, versehen sie mit neuen Anstrichen und in den Straßen des Cerro Alegre und des Nachbarhügels Cerro Concepción poppen kleine Ateliers und Espresso-Bars auf.
Thunfisch-Samosas gehören zu jeder kulinarischen Reise durch Chile
Es ist Zeit für ein wenig authentische Küche. Arnold führt uns in die Marisqueria Los Portenos, ein Fischrestaurant, in dem fast ausschließlich Einheimische sitzen. Wir essen Thunfisch-Samosas, dann »Machas a la Parmesana«, ein schmackhaftes Muschelgratin, das in der Region häufig serviert wird. Und später auch noch vorzügliche Krabbenkuchen.
Am Abend besuchen wir auf mehrfache Empfehlung die Bar Cinzano im Hafenviertel. Diese wird uns angepriesen als Etablissement, das sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat. Die Wände sind reich geschmückt mit Seefahrtdevotionalien, an den Tischen ist es laut und rumorig.
Auftritt von El Maestro
Dann fällt unser Blick auf eine kleine Bühne, auf der regungslos wie Leguane zwei steinalte Männer in Nadelstreifenanzügen sitzen. Bald gesellt sich ein Dritter hinzu: Manuel Fueltealba, der hier »El Maestro« genannt wird.
Es erklingen Tango-Klassiker, Latin-Schnulzen und Crooner-Nummern, die sich hinter Dean Martin nicht verstecken müssen. Als ein Gast erzählt, dass die drei Männer alle über 80 Jahre alt sind, und seit sechs Jahrzehnten hier als Trio auftreten, schmelzen wir dahin.
Kulinarische Reise durch Chile: Variationen vom Tiefseefisch
Nach dieser herzerwärmenden Erfahrung machen wir am nächsten Tag Bekanntschaft mit einer kühlen Blechdose. Auch sie ist Bestandteil der kulinarischen Reise durch Chile. Darin befinden sich weder Sardinen noch Thunfisch – schließlich haben wir im vornehmsten Haus der Stadt Platz genommen: dem Restaurant Alegra im Hotel Palacio Astoreca.
Chefkoch Sergio Barraso hat sich das Behältnis ausgesucht, um eine kühne Vorspeise zu servieren. Variationen von Tiefseefischen, die sich in ihrer geschmacklichen Intensität von der bekannten Aromapalette deutlich abheben. Später zaubert er ein Filet vom Adlerfisch mit Speckschaum auf den Teller – erste Versuche des einstigen Schülers Ferran Adrias, die Chilenen mit Haute Cuisine zu begeistern.
Auf nach Patagonien!
Nachdem uns diese Stadt in ihren Bann gezogen hat, geben wir unserer Reise eine andere Note. Wir fahren rund 800 Kilometer gen Süden ins Outdoor-Zentrum Pucon. Dort treffen wir Mathias Boss, der vor über 20 Jahren mit seiner Familie nach Chile ausgewandert ist. Damals gab es in Antilco noch keinen Strom. Das, was einmal seine Ranch werden würde, war nur über eine wacklige Holzbrücke erreichbar. Und bis heute muss er immer darauf gefasst sein, dass ihm die Elemente zu schaffen machen. Der gelernte Automechaniker nämlich wohnt zu Füßen des Vulkans Villarrica.
Dennoch sitzt der 60-Jährige heute fest im Sattel. Er beherbergt rund 20 Pferde der einheimischen Rasse Criollos Chilenos, mit denen er Expeditionen durch Nordpatagonien anbietet. Es ist ein sonniger Morgen Mitte Oktober, als Matthias uns verspricht, dass wir während unserer halbtägigen Tour drei Vulkane zu sehen bekommen werden. Als wir aufbrechen, reiten wir zunächst über die Hauptstraße, was in der geographischen Mitte Chiles einem nahezu autofreien Schotterweg gleichkommt.
Unter dem Vulkan
Während am Wegesrand heimische Boldo-Sträucher und importierte Kirschbäume ein opulentes Blütenmeer formieren, blicken wir auf die Ausläufer der Voranden. Das einfache Leben, sinniert Matthias, hat ihn dazu bewogen, hier einen Neustart zu wagen. »Die Wälder da oben sind unberührt. Hektik kennen wir nicht.« Nach einer Weile biegen wir um eine Ecke. »Da vorne ist er«, sagt Boss. Er meint den schneebedeckten Villarrica, der in 2840 Metern Höhe bedächtig seine Rauchwölkchen in den azurblauen Himmel ausstößt. Nun ist es Zeit für einen kleinen Galopp. Seine Pferde nämlich sind nicht darauf getrimmt, Touristen apathisch durch die Landschaft zu tragen. »Nein, die haben Charakter.«
Später, beim Barbecue im heimischen Garten, kommen die Spezialitäten der Region auf den Tisch: Steak und Chorizo, dazu Pebre, eine scharfe Sauce mit Tomaten, Zwiebeln und Koriander. Unverzichtbare Bestandteile einer kulinarischen Reise durch Chile. »Was ihr heute gesehen habt«, sagt Matthias, »war noch gar nichts«. Erst bei einem einwöchigen Ritt durch die menschenleeren Anden würden sich das Land und die Einsamkeit so richtig erschließen.
Besteigung des Villarrica
Am nächsten Tag sind wir schon weit vor Sonnenaufgang auf den Beinen. Wir wollen den Villarrica besteigen, wofür es geeigneter Ausrüstung bedarf. Mit Rucksack und Eispickel stehen wir gegen 8 Uhr an der Talstation eines kleinen Skigebiets. Weil es abermals ein sonniger Tag zu werden scheint, geben die drei Bergführer ihr OK für den Aufstieg. Wie die anderen zwölf Expeditionsteilnehmer, weiß auch Annerieke aus dem niederländischen Groningen nicht so recht, ob ihr heute ein kleines, oder vielleicht doch eher ein größeres Abenteuer bevorsteht.
1650 Höhenmeter liegen vor uns. Und weil der Frühling noch jung ist, führt lediglich die erste halbe Stunde durch Geröllfelder. Danach geht es durch Schnee. Die erfahrenen Guides geben einen bewährten Rhythmus vor: 50 Minuten im Gänsemarsch über Trampelpfade klettern, anschließend zehn Minuten Pause zum Essen, Trinken und Auftragen von Sonnenmilch. So ist der Berg binnen fünf bis sechs Stunden zu bewältigen – vorausgesetzt, dass der Vulkan sein Temperament zügelt. Für solche Fälle befindet sich im Gepäck eine Gasmaske. Und dann ist die sofortige Umkehr angesagt.
Wetterumschwung in 2800 Metern Höhe
Die ersten drei Stunden geht der Plan auch für Annerieke mühelos auf. In der intensiver werdenden Sonne aber wird der Schnee immer sulziger. Der Ausblick auf die Anden muss nun häufiger als Entschädigung für den kräftezehrenden Aufstieg herhalten. Auf 2800 Metern Höhe – auch die Holländerin ist längst erschöpft – ziehen plötzlich Wolken auf. Binnen Minuten schlägt das Wetter um.
Die Guides beraten kurz, ob wir die Expedition im Nebel fortsetzten können. Sie sprechen von einer »außergewöhnlichen Situation«, doch weil es nur noch ein paar Minuten bis zum Gipfel sind, sehen sie keine Gefahr. Als es oben noch einmal aufklart, können wir sogar kurz in den Vulkankessel blicken. Im eisigen Wind ziehen wir rasch unsere Schneeanzüge an, um uns für die originelle Art des Abstiegs zu wappnen: In vorgefertigten Rinnen rutschen wir auf einem Plastikteller den Berg hinunter – mit dem Eispickel als einziger Bremse. Annerieke ruft durch den Nebel, dass es sich wohl eher um ein größeres Abenteuer handelt.
Ein Hotel für Don Draper
Als Belohnung für die Strapazen gönnen wir uns noch ein paar Tage im Hotel Antumalal. Erneut wähnen wir uns in einer anderen Zeit, denn das von einem Schüler des amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright erbaute Haus ist ebenso großartig wie unwahrscheinlich. In dem organisch in die Landschaft integrierten Flachbau blicken wir vom Bett aus ungehindert auf den Villaricca-See. Und das original aus den 50er Jahren stammende Mobiliar sieht aus wie aus der US-Fernsehserie »Mad Men«.
Doch es war nicht Protagonist Don Draper, der es sich hier hat gut gehen lassen, dafür aber Hollywood-Ikone James Stewart und Königin Elisabeth II. Am letzten Außenposten der Zivilisation vor den noch weithin wilden Anden vereinen sich so alte und neue Welt. Beim Abendessen im Restaurant freuen wir uns über eine Neuinterpretation des Samosas, frisches Ceviche und einen vorzüglichen Sauvignon Blanc aus einem Boutique-Weingut. So wie es sich gehört zum Abschluss einer kulinarischen Reise durch Chile.
Informationen zur kulinarischen Reise durch Chile
Mit LAN Chile via Madrid nach Santiago de Chile (ab 900 Euro), dann per Mietwagen oder mit dem gut ausgebauten Überlandbussystem weiter bis nach Valparaiso und Pucon. Für die Einreise nach Chile ist ein sechs Monate gültiger Reisepass erforderlich, die beste Reisezeit ist von Oktober bis April.
Pucon ist das regionale Zentrum für Outdoor-Aktivitäten mit vielen Restaurants uns Bars.
Unterkunft in Pucon: Hotel Antumalal, mit Originalmöbeln aus den 50er Jahren und Ausblick über den Villarica-See, zwei Kilometer außerhalb von Pucon ab 200 Euro. Hotel Gudenschwager, eher einfache Unterkunft in Pucon, ab 80 Euro.
Outdoor-Aktivitäten während der kulinarischen Reise nach Chile
Matthias Boss bietet mit Ausgangspunkt der Ranch Antilco (30 Minuten von Pucon, antilco.com) Ausritte von einem halben Tag bis zu zehntägigen Andenüberquerungen an, Unterkunft in Cottages möglich. Die Firma Aguaventura in Pucon (aguaventura.com) bietet begleitete Aufstiege auf den Vulkan Villarica an, für die Zugangsregistrierung zum Nationalpark ist ein Reisepass erforderlich, je nach Ausrüstungsbedarf ab 80 Euro. Die Termas Geometricas (etwa zwei Stunden außerhalb von Pucon) können nur per Pkw erreicht werden, Eintritt etwa 20 Euro.
Unterkunft Valparaiso: Hotel Palacio Astoreca (hotelpalacioastoreca.com), in einer frisch renovierten Kolonial-Villa gelegenes Boutique Hotel, an 230 US Dollar.
Weitere Informationen
Schau auf die Homepage von Chile Travel.
Anmerkung: Die kulinarische Reise durch Chile habe ich vor einigen Jahren unternommen. Insofern versteht sich der Text als historischer kulinarischer Journalismus. Seit der Reise hat sich Trauriges ereignet. Die Bar Cinzano in Valparaiso ist geschlossen. Manuel Fueltealba ist gestorben – und seine Band existiert nicht mehr.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im August 2022.
Die kulinarische Reise nach Chile wurde von Tourismo Chile unterstützt.
4 Comments
..der nächste packende, gleichwohl toll bebilderte und informatibe Bericht, aus einer anderen, hier weitgehend unbekannten und unbeachteten Welt, schade, aber wohl auch sehr wichtig zum Erhalt dieser einmaligen Natur. Manni.
Super spannend geschrieben und für mich auch überaus nützlich, da ich allfällig im kommenden Jahr den Abstecher nach Chile machen werde.
Hier in Costa Rica haben wir das „Ceviche“ auch – ich denke da hat dir jemand das Ganze falsch buchstabiert. Oder wie es mir manchmal geht, das „v“ hört sich oft für uns Zentraleuropäer wie ein „b“ an. Nicht wahr? Auf jedenfall eine Köstlichkeit!
Pura vida!
Eine wunderbare Geschichte, die Pablo Neruda alle Ehre macht 🙂
Hach, Danke für die Blumen… Der Man wusste zu leben