Mit dem Truck durch die USA fahren. Das ist für viele Amerika-Fans ein Traum. Wir haben es bei Günther im Fahrerhaus ausprobiert.
Mit 21 000 Litern Mineralwasser im Gepäck geht es die lange Steigung rauf. »Jetzt kommen wir ins Schwitzen«, sagt Günther und beobachtet die Instrumente. Die Motortemperatur steigt. Im Fußraum wird es warm. Der gut 60-jährige Blondschopf drosselt die Geschwindigkeit und lässt die 550 PS unter der Haube des Kenworth-Trucks gemächlich die Arbeit verrichten. In Los Angeles hatte der Trucker den Hänger mit dem Lebenselixier angekoppelt. Sollte der Motor in der Mojave Desert schlapp machen – verdursten würden wir nicht; wir müssten nur das Siegel am Trailer brechen.
Ein Spediteur aus Österreich mit großen Träumen
Günther und ich fahren mit dem Truck durch die USA. Das Exemplar hat fünf Achsen und 18 Rädern. Für den aus Österreich stammenden Spediteur ist das nichts Neues; 7000 Kilometer fährt Günther, der in Ybbs an der Donau aufwuchs, in der Woche durch die USA. Sein Gast hingegen ist Novize in der Fahrerkabine. Vier Tage soll die Reise gehen, entlang dem flirrenden Asphaltband der Interstates. »Stundenlang rollen, das fasziniert mich«, sagt Günther und zündet sich eine Zigarette an.
84 Meilen vor Blythe verheißt ein Schild: »Next Exit Joshua Tree Nationalpark«. Wir fahren weiter. Überholen andere Trucks, lassen uns überholen. Weiter durch gelbes Land mit majestätischen Bergen am Horizont. Als wir den Colorado-River – die Grenze nach Arizona – kreuzen, ist es später Nachmittag, und die Landschaft hat sich einem gigantischen Farbverlauf gleich in blasses Rot gewendet. Wir werden mit stacheligen Armen empfangen. So weit das Auge reicht wachsen die mannshohen Saguaro-Kakteen. Der Gruß geschieht im Vorbeifahren.
Überraschung unterwegs: eine Windhose
»Da! Eine Windhose.« Günther zeigt nach rechts. Eine Sekunde später packt der staubige Wirbel den Trailer. Der Schlag ist noch auf den Sitzen zu spüren und gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns in den immer wieder von Tornados heimgesuchten Great Plains in Oklahoma oder Kansas erwarten könnte. Dort, so erzählt Günther, gibt es entlang der großen Straßen sogar Tornado-Bunker für die Kraftfahrer – für den Notfall. Im Normalfall aber rotieren die Reifen, und es bleibt viel Zeit zum quatschen.
Günther erzählt, was »Trucking« bedeutet: »Wenn nicht gefahren wird, dann wird gefuelt, geduscht, gegessen oder geschlafen.« Erzählt von den Finessen des Fahrtenbuchführens oder welche Gesamtgewichte und Achsabstände in den einzelnen Bundesstaaten zulässig sind.
Mit dem Truck durch die USA: eine Welt für sich
Von der Tüftelei des »Dispatchers«, der in der Zentrale die Logistik koordiniert, hat er noch gar nicht angefangen. Aber Trucking, ich erahne es, ist eine Welt für sich. In mit Amerikanismen wie »Bist du familiär mit?« gewürztem Österreichisch werde ich eingeführt.
Es ist eine Welt, die Günther Zöchbauer und sein Kompagnon, der Schweizer Werner Egli, auch anderen eröffnen wollen. Einmal fuhr der Schriftsteller bei Günther mit. Sie kamen auf die Idee: »Warum nicht den Beifahrersitz vermieten?« Egli gründete die Firma Truckride America, den nach eigenen Angaben bislang einzigen Anbieter dieser Art. Kooperiert wird mit Günthers Spedition.
Schweißausbrüche und Scheißhauspapier
Als die Sonne sich verneigt, erreichen wir den »Drop Yard« in Phoenix, Arizona. Auf dem Areal harren mehrere Dutzend weiße Trailer ihrem nächsten Einsatz. Günther blickt konzentriert in den Spiegel und lässt sein Gespann rückwärts in eine Lücke gleiten. Lässt sich aus dem Häuschen herab, löst die gezwirbelten roten und blauen Leitungen der Bremssysteme zwischen Truck und Trailer und sonstige Verriegelungen, kurbelt unter Schweißausbrüchen die Stützen des Hängers herab, steigt wieder ein und gibt Gas.
Mit einem Seufzer steht der Hänger nun auf eigenen Beinen. Ein anderer wird angehängt. Günther hält die Frachtpapiere hoch: »Es ist doch nur Scheißhauspapier«, entfährt es ihm. Aber die Ladung ist mit 14 Tonnen leichter. Das macht Günther schneller auf den Weg nach Chicago, dem Bestimmungsort. 2900 Kilometer sind es bis dahin.
110 Gallonen Diesel
An der Tankstelle verlangt der Truck nach Nahrung. 110 Gallonen Diesel (416 Liter) für 278 Dollar verleibt er sich ein. Der Parkplatz des Truckstops ist voll. Die Trucks stehen, die Motoren laufen, damit die Klimaanlagen laufen, damit auch die Trucker, die gerade duschen, essen oder im Fernsehraum bei einer Wrestling-Übertragung einem der in ihrem Beruf eher seltenen Kollektiverlebnisse fristen, später auch nicht überhitzen. Wieder auf der Interstate – jetzt die I17 Richtung Flagstaff – ist die Wüstenlandschaft in ein Rosa-Orange getaucht. Die Sonne sagt gute Nacht.
Leuchtreklamen des mäandernden urbanen Phoenix-Raumes setzen sich am dunkelnden Himmel ab, während die Umgebung im satten Schwarz versinkt. Die Scheinwerfer der Autos rollen uns wie leuchtende Murmeln entgegen. Als schon lange kein natürliches Licht mehr scheint, sagt auch Günther gute Nacht – nach immerhin 642 Meilen. Er manövriert das Gespann auf den »Hopi Indian Reservation Travel Plaza.« Der Truck ist ein »Studio Sleeper«. Wir lassen uns direkt auf die Betten hinter den Sitzen fallen. Ich schlafe, wie nach einem Tag harter Arbeit. Günther wohl erst recht.
Vorbei am Petrified Forest
Von den Touristenattraktionen sehen wir auch am nächsten Tag nur die Hinweisschilder: Petrified Forest, Meteor Crater, Window-Rock, Carlsbad Tavern. Keine Zeit, die Fracht hat Vorrang. Durch den Verzicht auf das Naheliegende eröffnet sich dem Gast ein ganz anderes Amerika. Das muss die Antwort sein auf die Frage nach dem Warum, die ich mir die ganze Zeit stelle: Durch die Unbedingtheit des Vorwärtskommens erschließt sich die sprichwörtliche Weite. Kaum ein Tourist würde in drei Tagen von Kalifornien an die großen Seen fahren.
»Ich zeige Kunden exklusiv das Land«, sagt Günther und man versteht, was er meint. »Viel Gegend, viel Gegend.« In diesem Moment gleitet der Truck durch grüngetupftes Steppenland in New Mexico. Das Asphaltband spitzt sich zu wie eine Nadel. »Manchmal gibt es 30 Kilometer keine Kurve«, sagt Günther. Wäre dies immer so – Günther müsste nur noch 70 Kurven fahren, durch Oklahoma, Missouri, Illinois. Fürs Erste.
Informationen über die Tour mit dem Truck durch die USA
»Wo immer die Ladung hingeht, da fährst Du hin«, sagt Günther Zöchbauer, Mitbegründer von Truckride America. Will heißen: Die Fahrten unterliegen der Logistik des Truckeralltags. Das Unternehmen bietet gewöhnlich Touren im »Working Truck« ab/bis Tucson. Im Angebot sind zwei- bis sechstägige Touren, je nach Länge durch Arizona, Kalifornien, New Mexico, Texas, Utah, Georgia, Louisiana und gegebenenfalls weitere Staaten.
Im Preis sind drei Tagesmahlzeiten inbegriffen, die meist in Truckstops eingenommen werden. Je ein Tag Puffer vor und nach der Truckreise sind angeraten. Pakete (Flüge, Truckreise, Hotel, Flüge mit British Airways ab bis Phoenix, Transfer bis / ab Tucson) schnürt America Unlimited.
Text und Fotos: Stefan Weißenborn, zuletzt aktualisiert im Januar 2020. Achtung: Die Geschichte stammt ursprünglich aus dem Jahr 2013. Das Angebot über Truckride America mit dem Truck durch die USA zu fahren, scheint nicht mehr buchbar. Aufgrund ihres bleibenden Wertes haben wir uns entschlosse, die Geschichte in der Rubrik »historischer Reisejournalismus« online zu lassen.
12 Comments
Hallo und vielen Dank für den hilfreichen Artikel!
Toller Blog.
Hallo ich hätte mal ne frage wie viel kostet das wenn man so einen truck ausleiht ?
würde mich freuen um eine antwort
Mfg vanessa
mal was anderes. kann ich mir gut vorstellen dass das in den USA spass macht 😉
Was für ein tolle Idee, danke für den tollen Bericht.
LG Dani
Das ist ja cool! Habe ich mir notiert für den nächsten USA Besuch 😀
Hinweis: Es sitzt nicht immer Günter hinterm Steuer, es gibt noch andere Fahrer. Berichte doch mal, falls Du Dich tatsächlich mit in den Truck setzt, viele Grüße, stefan
Klar, davon würde ich auf jeden Fall erzählen 🙂
Das Haus, das Jack Kerouac gebaut hat
Ich bin begeistert.
Viel Gegend, viel Gegend 🙂 Aber super Geschichte!!!
Sehr schön. Da kommt mir gleich der Song „Six days on the road“ in den Sinn.
Das passt!