Kurz vor der Grenze nach New Mexico ist Halbzeit auf der Route 66. Das Dorf Adrian in Texas erhebt den Anspruch, genau in der Mitte von Chicago und Los Angeles zu liegen (Episode 39 von 66).

Das Midpoint Café an der Route 66 in Adrian, Texas
Irgendwann geht auch die schönste Reise zu Ende. Zunächst aber gilt es die Halbzeitmarke zu erreichen. Das Dorf Adrian in Texas erhebt Anspruch auf den Ehrentitel, die geographische Mitte der Route 66 zu bilden. Dabei spielt es keinerlei Rolle, ob das wirklich so ist, oder ob es sich um eine eher ungefähre Angabe handelt. So oder so ist es an der Zeit für eine Kontemplation mitten im Nichts der USA.

Das Logo mag verblichen sein, doch die Route 66 lebt in Adrian, Texas
Halbzeit auf der Route 66: 1139 Meilen seit Chicago
Nirgendwo wurde die Route 66 radikaler beseitigt, als in Texas. Das stand schon vor der Besichtigung Cadillac Ranch fest – nur an wenigen Orten konnte sich die Originaltrasse beim Bau der Interstate 40 behaupten. Kurz vor der Grenze zum nächsten Bundesstaat aber lockt noch einmal ein altehrwürdiger Streckenabschnitt von erheblicher Bedeutung, der die Herzen aller Nostalgiker höherschlagen lässt.

Herrlicher Anblick für Americana-Fans: Getreidespeicher mit Schild der Historic Route 66
Hauptgrund ist die Behauptung des winzigen Ortes Adrian, den geographischen Mittelpunkt der mutmaßlich berühmtesten Straße der Welt zu bilden. In der offiziellen Lesart der Verantwortlichen beträgt die Distanz von hier bis zum Pier nach Santa Monica wie auch zum Startschild nahe dem Art Institute of Chicago jeweils exakt 1139 Meilen oder 1833 Kilometer. Ein wenig unklar allerdings ist, auf welche Streckenführung sich diese Behauptung bezieht, denn die Trasse der Mother Road ist bekanntlich seit 1926 Tausende Male verlegt worden – sei es zur Optimierung der Streckenführung oder zur Umgehung von Knotenpunkten.

Noch 1833 bis zum Ziel: Adrian, Texas
In Adrian ist die Route 66 fast 20 Meter breit
Fest steht indes, dass der Entfernungsangabe von 3666 Kilometern Puristen nicht standhalten würden, denn die Originalstrecke war exakt 276 Kilometer länger. Auch diesen Gedanken aber mag man als kleingeistige Spitzfindigkeit abtun, denn was spielt es schon für eine Rolle, wo genau die erste Hälfte einer Reise zu Ende geht, bei der nichts anderes als der Weg das Ziel ist.

Auf Wiedersehen, Texas: Oldtimer mit Heckflossen als Leinwand
Wie schön außerdem, dass sich die zuletzt auf 172 Personen taxierte Bevölkerung von Adrian in Texas an der Rolle erfreuen kann und das damit einhergehende Versprechen eines besonderen Fleckens erfüllt. Am Ortseingang ragt ein Getreidespeicher aus dem Nichts hervor, ein paar rostige Windräder stehen im Schatten ihrer effizienten Zeitgenossen. Und die Straße? Sie ist fast 20 Meter breit. Der Asphalt präsentiert sich in gutem Zustand. Und ihr Abstand zur Interstate ist ausreichend groß, um nicht von ihr verschlungen zu werden.

Noch in Betrieb: das Fabulous 40 Motel
Die Linie, die auf das Etappenziel hinweist, ist einige hundert Meter westlich des Ortskerns gezogen. Das ließe sich als Hinweis auf eine genaue Ausmessung interpretieren, vielleicht aber hat sich auch einfach jemand gegen einen Farbstrich an anderer Stelle gesträubt. Auch ein dekoratives Schild für den Fotostopp fehlt nicht.
Zwischenstopp im Midpoint Café
Noch wichtiger aber ist das Midpoint Café, dessen formschönes Logo gut sichtbar an einem stattlichen Mast befestigt ist. Den hausgemachten Lemon Pie verspeist die Stammkundschaft bereits zum Frühstück. Ein weiteres Motiv befindet sich vor dem Lokal, wo die Fensterscheiben eines mit Heckflossen bestückten Oldtimers zu Leinwänden verwandelt wurden, auf denen nun kleine Wüstenszenen zu sehen sind.

Das Vacancy-Schild ist willkommen: Motel auf halber Strecke
Nebenan ermöglicht das Fabulous 40s Motel die stilechte Fortsetzung des Nostalgietrips. Davor geparkt ist eine dekorative Rostlaube, deren Anwesenheit das reflexhafte Zücken der Kamera zur Folge hat. Wenn sich all dies unter einem weiten, stahlblauen Himmel abspielt und es dazu still und heiß ist, könnte der Augenblick vollkommender nicht sein.
Es sei denn, es rollt ein Pick-up heran, aus dem ein wortkarger Typ mit sonnengegerbter Haut aussteigt, der auf dem Ende eines Streichholzes herumkaut, als wäre er Gary Cooper oder sonst irgendein Hollywood-Star. Doch wir schweifen ab. Und bevor die Pferde allzu weit mit uns durchgehen, ist es vielleicht einfach an der Zeit, die zweite Hälfte der Route 66 in Angriff zu nehmen.

Foto: Ralf Johnen
Informationen über Adrian in Texas
Midpoint Café: Familiengeführtes Lokal mit regionaltypischer Küche, in diesem Fall: Hamburger und Lemon Pie. 305 West Historic Route 66, Adrian, keine Webseite (nur Facebook). Geöffnet täglich von 8 bis 17 Uhr (im WInter kürzer).
Fabulous 40s Motel: Hinter der nostalgischen Fassade verbirgt siche in gar nicht unmodernes Domizil. 301 West Historic Route, Adrian, keine Webseite (nur Facebook).
Auch die Webseite von Travel Texas geizt mit Informationen über Adrian.

Mehr als nur ein paar rostige Windräder: In Adrian, Texas, ist Halbzeit der Route 66
Unser Tagebuch über die Route 66
Für unsere Sammlung von 66 weithin unbekannten Geschichten über die Route 66 haben wir uns nicht nur auf der Mother Road selbst, sondern vor allem abseits des Wegesrandes umgesehen. Die Story über den Streckenmittelpunkt in Adrian (39) aber drängt sich natürlich auf. Von der Cadillac Ranch (Story 38), fährst du rund 64 Kilometer bis zum inoffiziellen Mittelpunkt der einstigen Route 66. Bis zum ersten Stopp in New Mexico in Tucumcari (Geschichte 40) sind es 103 Kilometer.
Die Route 66 in New Mexico
Stolze 535 Meilen oder 861 Kilometer der Route 66 konnte New Mexico einst auf sich vereinen. Wie auch in den anderen Staaten wurde die Trasse mehrmals substanziell verändert. Eine Streckenführung hat die Reisenden sogar bis nach Santa Fe geleitet. Vielerorts wurde die alte Trasse durch den Interstate 40 ersetzt. Doch bis heute existieren zahlreiche Abschnitte der ehrwürdigen Mother Road. Das Tourismusbüro von New Mexico hält neben Informationen auch eine Karte mit den unterschiedlichen Streckenverläufen bereit.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im April 2025.
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