Die Reise mit dem Panoramazug durch die Schweizer Alpen ist auch nach fast 100 Jahren noch ein atemberaubendes Erlebnis.

Städte sind anstrengend? Nicht, wenn man in Chur ist
Als kleiner Junge wollte ich nichts lieber, als mit dem Zug fahren. So viel wie es eben geht. Und vorzugsweise an Bord jener Züge, bei denen im Kursbuch der Zusatz »mit Zuschlag« vermerkt war. Der »Etoile du Nord« zum Beispiel, oder der »Rheingold«. Beides glanzvolle Klassiker aus der längst eingestellten Reihe des Trans Europa Express. Die Fahrt im Glacier Express von Chur nach Zermatt in den Olymp zu heben, war angesichts dessen keine Schwierigkeit..

Verschnaufpause mit der Lokomotive der Matterhorn Gotthard Bahn als Stütze
Im Panorama Express durch die Schweizer Alpen
Der Zug schließlich trägt das vielversprechende Prädikat Panorama Express. Auf einer 291 Kilometer langen Strecke verbindet er seit 1930 die beiden glamourösen Wintersportorte St. Moritz und Zermatt. Ein Traum für jeden Bahn-Fan.

Erst Löwenzahn, dann Tiefschnee: Im Glacier Express ändern sich die Jahreszeiten scheinbar binnen Minuten
Bei unserer Premiere im Glacier Express steigen wir erst in Chur ein, wo wir vorher einen schönen Tag verbracht haben. Das Städtchen eignet sich nicht nur weil es hübsch ist, sondern weil es von Deutschland aus besser erreichbar ist. Würden wir ab St. Moritz fahren, müssten wir den Abschnitt ab Chur zwei Mal absolvieren. Auch keine Strafe, aber wir haben uns anders entschieden, weil wir Interrail machen und noch viel vorhaben.

Der glückliche Passagier schaut versonnen aus dem Fenster
Im Interrail-Ticket inbegriffen
So stehen wir also an einem Samstag Ende Mai kurz vor Mittag am Bahnsteig von Chur, um dem großen Moment entgegenzufiebern. Viel investieren mussten wir nicht, da der Glacier Express im Interrailpass inbegriffen ist. Lediglich die Reservierung geht extra – aber das ist für Interrailer bei vielen Zügen längst Standard.

Wassersportler im Gletscherwasser des Vorderrhein bei Chur
Wie wir es in der Schweiz nicht anders erwartet haben, rollt der Zug mit seinen knallrot lackierten Wagons und den großzügigen Panoramafenstern pünktlich ein. Auch eine umgekehrte Wagenreihung oder andere aus Deutschland bekannten Kalamitäten sind dem Schienenverkehr in der Alpenrepublik fremd. Einem reibungslosen Einstieg und der Einnahme unserer Plätze steht nichts im Wege.

Menü am Platze – auch das gehört zur Fahrt in der Ersten Klasse
Lokale Spezialitäten im Glacier Express von Chur nach Zermatt
Um 12.14 Uhr verlässt der PE 925 den Bahnhof. Knapp sechs Stunden benötigt der Glacier Express von Chur nach Zermatt, die er jetzt in Angriff nimmt. Unsere Sitze sind geräumig und mit USB-Anschlüssen ausgestattet, die Speisekarte verspricht lokale Spezialitäten. Gut also, dass wir uns auf einem Esstisch ausbreiten können, der sich zwischen uns befindet.

Mit an Bord: Wein aus Graubünden
Als der Glacier Express Chur hinter sich gelassen hat, entdecken wir einen alten Bekannten: den Rhein. Oder besser gesagt einen seiner Zuflüsse, der hier als Vorderrhein firmiert und das milchige Grün eines Gletscherflusses aufweist. Während uns dieser Anblick nicht aus der Ruhe bringt, trauen wir bei einem unplanmäßigen Zwischenstopp unseren Augen kaum.
Schlauchboot auf einer Wiese
Beim Blick aus dem Panoramafenster zieht ein Schlauchboot an uns vorbei. Auf einer Wiese und getragen von knapp einem Dutzend lachender Sportler. Die Asiatinnen am Nebentisch sind entzückt.

Nur in der Schweiz: Aus dem Luxuszug Abenteurern zuwinken
Langsam gewinnt der Glacier Express an Höhe. Vom knapp 600 Meter hoch gelegenen Chur müssen wir auf mehr als 2000 Meter klettern. Für die Lokomotiven von heute kein Problem, aber für die Pioniere vor knapp 100 Jahren eine mächtige Herausforderung. Zumal die ursprüngliche Strecke über den Furka-Scheiteltunnel auf 2160 Metern führte, der erst viel später durch den ungleich niedriger gelegenen Furka-Tunnel ersetzt wurde.
Steigungen bis zu 12,5 Prozent im Glacier Express
Wir passieren liebliche Blumenwiesen, das mächtige Benediktinerkloster Disentis und wir werden Zeuge, wie sich der Zug langsam den Oberalppass hinaufwindet. Für eine Steigung von maximal 12,5 Prozent ist der Glacier Express ausgelegt. Dafür bringt er die nötige Zeit mit, denn die Durchschnittsgeschwindigkeit auf dem gesamten Trajekt beträgt bescheidene 42 Stundenkilometer. Formvollendetes langsames Reisen, zumal die gut gelaunte Crew nun das Mittagessen serviert.

Erster Schnee auf der Strecke des Glacier Express von Chur nach Zermatt
Als Vorspeise gibt es gibt Brot und einen bunten Salat, dazu haben wir uns eine süffige Cuvée aus Riesling und Silvaner von einem Graubündner Weingut ausgesucht. Als Hauptgang ist unsere Wahl auf Bündner Capuns bestellt, ein vegetarisches Gericht aus derselben Region.
Formidable Bündner Capuns
Die mit herzhaftem Alpenkäse überbackenen Mangoldröllchen sind ebenso köstlich wie reichhaltig. Sie werden als das beste Essen in meine Biographie eingehen, das ich je an Bord eines Verkehrsmittels zu mir genommen habe.

Unbedingte Empfehlung: Bündner Capuns aus der Bordküche des Glacier Express
Passend zu der deftigen Kost sehen wir draußen immer größer werdende Schneefelder. Um die Jahreszeit auf mehr als 1500 Metern keine Seltenheit. Die Bahnschienen werden immer öfter von Bauwerken überdacht, welche die Züge vor Lawinen schützen sollen.
Zwischenstopp mit Ausblick
Der Himmel ist bedrohlich dunkel geworden. Erst nachdem wir die Passhöhe hinter uns gelassen haben, wird es ein wenig freundlicher. Da wir gut in der Zeit liegen, legt die Crew am Haltepunkt Nätschen einen Zwischenstopp mit Ausstiegsmöglichkeit ein. Gut für einen kleine Fotosession und den Gedanken, dass die Welt in den Schweizer Bergen noch weitgehend in Ordnung scheint.

Irgendwo in der Schweiz: Mann vor Schneewand
Hinter Andermatt wird das Wetter schlagartig besser. Wir befinden uns nun im Kanton Uri und nehmen Kurs auf das Wallis. Inzwischen einigermaßen an den Anblick des Alpenpanoramas gewöhnt, lese ich ein wenig in meinem Buch.
Zeit für Literatur
»Gehen. Ging. Gegangen« von Jenny Erpenbeck. Ein brillanter Roman über das große Thema unserer Zeit: Migration. Jeder sollte sich mal die Zeit nehmen, es zu lesen, und danach die eigene Gedankenwelt nochmals in Frage stellen.

Blick aus dem Glacier Express auf die Straße zum Oberalppass
Später diskutieren wir bei einem Glas Blauburgunder, wie die Schweizer ihren Pinot Noir nennen, andere Themen, die in der Welt da draußen eine Rolle spielen. Vor allem aber fragen wir uns wie es wohl 1930 oder 1960 gewesen sein mag, im Zug durch diese erhabene Landschaft zu rollen. Ohne Rollkoffer, Mobiltelefon und eine To-do-Liste, die selbst im Urlaub rasend schnell an Länge gewinnt.
Es geht bergauf im Glacier Express von Chur nach Zermatt
Nach etwas mehr als vier Stunden erreichen wir Brig, den letzten Halt vor der Endstation. Kurz hinter dem Städtchen verlässt der Glacier Express die Hauptstrecke durch das Tal der Rhône, um in Richtung Süden abermals ins Hochgebirge abzubiegen. Es folgt der wohl atemberaubendste Streckenabschnitt. Er bringt uns vom 658 Meter hoch gelegenen Visp ins knapp 1000 Meter höher gelegene Zermatt.

So sehen Passagiere aus, deren Kindheitstraum sich gerade erfüllt
Unterwegs bleibt den Schienen gar keine andere Wahl als dem Lauf des Flusses Vispa zu folgen, der unermüdlich das Gletscherwasser in die Rhône abführt und der dabei die Landschaft entscheidend geprägt hat. Wir sehen Kirchen mit spitzen Türmen, eine mal mehr und dann wieder weniger schroffe Schlucht, kühne Brücken und Hotels, die Erinnerungen an den Zauberberg wecken.
Zermatt: Ankunft im Hochgebirge
Immer mal wieder stürzt sich ein Wasserfall die zunächst noch bewaldeten Bergrücken hinunter.

Immer diese Instagrammer: Asiatinnen posieren beim Zwischenhalt des Glacier Express
Erst spät gibt das enge Tal den Blick auf das Hochgebirge frei. Welche unter dicken Schneeschichten bedeckte Gipfel wir da sehen, können wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Doch wir hoffen, dass wir uns dieser Frage nach der Ankunft ausführlich widmen können. Schließlich haben wir zwei Übernachtungen und gut 36 Stunden in Zermatt.

Blumig: Blick auf Andermatt und das Ursental
Informationen zur Reise mit dem Glacier Express
Der Glacier Express verkehrt bis zu vier Mal täglich, wobei er nicht immer die vollständige Strecke zwischen St. Moritz und Zermatt absolviert. Die komplette Strecke ist 291 Kilometer lang, wofür der Panoramazug gut acht Stunden benötigt. Unterwegs passiert der Glacier Express 91 Tunnel und 291 Brücken.

Mit Zuschlag: das waren die Züge, mit denen ich als kleiner Junge fahren wollte
Der Zug verfügt über Panoramawagen Erster und Zweiter Klasse, hinzu kommt ein klassischer Speisewagen. Wer Erste Klasse bucht, kann Mahlzeiten und Getränke am Platz bestellen. Neu ist die Excellence Class, die allen Fahrgästen Fensterplätze und Loungebestuhlung bietet, außerdem verfügen die Wagen über eine Bar.

Drinnen Sitzkomfort, draußen hoher Abenteuerfaktor: Fahrt vorbei an der Hängebrücke Fürgangen
Die einfache Fahrt von Chur nach Zermatt kostet 212 Franken, in der zweiten Klasse sind 124 Franken fällig. Die Excellence Class ist nur bei Buchung der gesamten Strecke erhältlich und kommt auf 490 Franken. Die Speisen an Bord sind bezahlbar und köstlich, Wein und Bier liegen auf dem Restaurantniveau.

Halt nur auf Verlangen: die Matterhorn Gotthard Bahn, nicht zu verwechseln mit dem Glacier Express
Wer ein Interrail-Ticket besitzt, kann den Glacier Express damit benutzen. Allerdings müsst ihr eine Sitzplatzreservierung kaufen, die ab 33 Franken zu haben ist. Die Platzkarten gehen drei Monate vor der Fahrt in den Verkauf, wer sich seiner Sitze sicher sein will, sollte rasch buchen.

Endlich angekommen: Holzfassaden und Löwenzahnwiese in Zermatt
Text und Bilder: Ralf Johnen im Februar 2025. Die Interrail-Tickets haben wir selbst gezahlt. Schweiz Tourismus hat uns die Plätze im Panoramawagen gesichert.

Enstation Zermatt. Oder mit anderen Worten: Grandezza von Anfang an
Comment
…wieder ein unglaublich faszinierender Reisebericht mit begeisternden – auch persönlichen – Fotos, eine Einladung zum Folgen, zum Nachreisen…Grandios, Manni.