Mit dem Wohnmobil durch Colorado zu fahren, gehört zu den besten USA-Erlebnissen. Grandiose Nationalparks und Naturwunder und sowie coole Städte wie Denver und Boulder machen den Trip im RV durch die Rocky Mountains unvergesslich.
Wir stehen in einem flachen Verwaltungsbau in einem Industriegebiet nördlich von Denver (hier geht es zu meinem Städteguide über Colorados Metropole). Martin meint, wir sollten uns schon mal den Film ansehen, in dem die Basisfunktionen des RV erklärt werden. RV, das steht für Recreational Vehicle. So etwas wie ein Wohnmobil also. Nur halt auf Amerikanisch. Und das heißt: Für unseren Trip mit dem Wohnmobil durch Colorado haben wir zwei Flatscreen-Glotzen, einem mannshohen Kühlschrank und die unvermeidlichen braunen Sitzmöbeln an Bord. Zur Ausstattung gehören außerdem Dusche und WC – auf einer Länge von 31 Fuß.
Eine knappe Woche Tage haben wir Zeit, Colorado mit dem Wohnmobil zu erkunden. Rasch gewinnen wir den Eindruck, dass Martin ein generöser Mann ist, denn er überlässt uns für den Trip mit dem Wohnmobil durch Colorado noch zwei Fahrräder, Flickzeug, Campingstühle und einen Toaster. Wichtige Utensilien, wie sich im Verlauf der Tour herausstellen wird. Wir brechen auf mit der Ansage, dass wir es heute noch bis zum Colorado National Monument schaffen wollen. Martin zieht die Augenbraue hoch.
Mit dem Wohnmobil durch Colorado: Im Kühlschrank ist alles »bio«
Ehe wir den Interstate Richtung Süden ansteuern, sehen wir es als unsere Roadtrip-Pflicht an, den Kühlschrank angemessen zu füllen. Weil Colorado eine Hochburg vordenkender Freigeister ist, denen bekanntlich sogar der Konsum von Cannabis und Haschisch gestattet ist, erachten wir es als unsere Pflicht, »organic« einzukaufen.
Zu diesem Zwecke haben wir auf dem GPS bei Lucky’s Market eines fett virtuelles Kreuz gemacht. Kein ökiges Lebensmitteldepot für Asketen und Bessermenschen, sondern ein formidabel bestückter Laden für qualitätsbewusste Hobbyköche, die keinen genmanipulierten Mais und andere finstere Erfindungen von Nestle und Konsorten brauchen.
Umfangreiche Vorbereitungen für den Trip im RV durch die Rocky Mountains
Wir kaufen die Zutaten für ein Fenchelrisotto mit Salsiccia, für Yellowfin-Thunfisch mit Spargel, für Pasta mit Tomatensauce (Bescheidenheit im Nationalpark) und, ganz wichtig, Zucchini, die Stefan allmorgendlich dünn geschnitten in Olivenöl brät. Uns beiden schwant, dass es viel ist, was wir hier einpacken.
Aber die Widerstandskräfte gegen die Konsumkultur sind im frühen Stadium eines USA-Aufenthalts eben noch nicht voll entwickelt. Nebenan im Not-so-organic-Luckies-Liquorstore entscheiden wir uns für ein paar IPAs aus allen Teilen des Landes und – als Studienobjekt der Stunde – viel Riesling aus dem Nordwesten.
Unser RV ist ein Monstrum von den Ausmaßen eines Lkw
Die Zeit haben wir im Kaufrausch ein bisschen aus den Augen gelassen, oder besser gesagt: wir haben sie komplett vergessen. Nun haben wir Hunger. »Lunch-Time is crunch time«. Da passt es gut, dass neben dem Hedonisten-Biosupermarkt ein Feinschmecker-Biolunchrestaurant steht, der vom Namen her gleich in doppelter Hinsicht an die gute alte Zeit erinnert: Modern Market. Sogar die Pizza wird hier (fast?) ausschließlich mit saisonalen Ingredienzen belegt. Als wären wir hier zu Gast in Dave Eggers’ Roman »The Circle«.
Gegen 14.45 Uhr schaffen wir es endlich, das Vehikel nach Süden in Richtung Denver zu bewegen. Nicht ohne Bedenken übrigens. Stefan hat so ein Monstrum noch nie gefahren. Und ich habe zwar jahrelang einen Lkw von vergleichbaren Ausmaßen gesteuert. Aber lediglich auf dem Vorfeld eines Flughafens, als ich noch Student war.
Suburbs an den Flanken der Rocky Mountains
Der Wagen mit seiner 6,8-Liter-Maschine allerdings meint es gut mit uns. Vorbei an prahlerisch fruchtbarem Land und träge vor sich hin arbeitenden Ölpumpen schaffen wir es auf den I-70, der für den Rest des Tages unser Gastgeber sein wird. Alle Verabredungen sage ich ab, da wir – aus unserer Sicht eher unverschuldet – dem avisierten Zeitplan um rund 240 Minuten hinterherhinken.
Wir fahren durch eine Gegend, die man wohl als Suburbs von Denver charakterisieren darf. Steile Hügel, auf denen verschwenderische Anwesen stehen. Wie damals im »Denver Clan«. In einem davon muss einst Blake Carrington gewohnt hat, der Ölmagnat aus dem Fernsehen, dessen streng gekämmtes, graumeliertes Haar mich so geprägt hat.
Mit dem Wohnmobil durch die Rocky Mountains: Passhöhe auf 3375 Metern
Unser Vehikel übrigens zeigt sich bislang recht kooperativ. Auch wenn das hier die Rocky Mountains sind und es entsprechend bergauf geht, ist die Beschleunigung beachtlich. Und das ist auch gut so, denn der Anstieg macht keine Anstalten, ein Ende zu nehmen.
Nach gut einer Stunde fahren wir inmitten von Schneefeldern. Das wundert mich dann doch. Ich zücke meine Fahrrad-App, die anhand der GPS-Daten die Höhe misst: 3375 Meter. So hoch wie das Jungfraujoch. Und wir brettern in einem 31 Fuß langen Wohnmobil mit 75 Meilen über einen dicht befahrenen Interstate.
Auf dem Weg nach Grand Junction
Wir passieren Vail, den Skiort der Reichen und Schönen. Ich wundere mich leise, dass der I-70 mitten hindurch führt – ohne Lärmschutzwände oder so etwas. Mittlerweile habe ich das Steuer übernommen. Nach einer kurzen Akklimatisierungsphase, die mit feuchten Handflächen einhergeht, fühle ich mich so sicher, dass ich nach Musik verlange.
Stefan schließt sein Telefon an, das uns stilsicher per Zufallsgenerator Hits serviert. Alles ist gut. Doch als sich hoch in den Bergen der Oktobertag langsam in den Abend verabschiedet, sind wir noch lange nicht am Ziel. Kurz vor Grand Junction ist außerdem der Tank leer. Und das GPS hat das Colorado National Monument offensichtlich falsch verortet.
Im Dunkeln über die Serpentinen des Colorado National Monument
Wir verlassen den Interstate und kommen uns augenblicklich wie in einem David-Lynch-Film vor.
Nachdem wir uns ungelenkes Vehikel diverse Male auf verwaisten Parkplätzen gewendet haben, finden wir endlich die richtige Straße: Den »Rimrock Drive«, der auf unbeleuchteten Serpentinen einen Höhenunterschied von 500 Metern überwindet. Den Abgrund sehe ich vom Fahrersitz aus zum Glück nicht.
Am Ziel einer anspruchsvollen ersten Etappe im RV
Gegen 21 Uhr erreichen wir den Zeltplatz, wo tatsächlich noch ein Platz für unser Gefährt frei ist. Die Sterne scheinen nah, als wir uns ein wenig mit der Umgebung vertraut machen. Dann hauen wir uns den Thunfisch in die Pfanne, kochen den Spargel und öffnen ein Bier. Beim Essen konstatieren wir: Die Reise mit dem RV durch Colorado ist sehr komfortabel, aber für Personen mit wenig Erfahrung durchaus ein bisschen abenteuerlich. Und eine anspruchsvollere erste Etappe hätten wir uns kaum aussuchen können.
Unser bescheidenes Gefährt weist eine Extravaganz auf: Das Radio blinkt die ganze Nacht über in funky Disco-Farben, als wäre es von Isaac Hayes oder Curtis Mayfield entwickelt worden. Als ich gegen 6 Uhr aufwache, bin ich mir endgültig sicher, dass ich das nicht geträumt habe.
Sonnenaufgang am Colorado National Monument
Rasch vergesse ich den Gedanken, springe auf, ziehe mir Jeans und Daunenjacke an, sondere ein „Aldder, das musst Du sehen ab“ – und stelle fest, dass Stefan das Wohnmobil bereits verlassen hat. Es ist 6.35 Uhr, als sich der Sonnenaufgang mit drastischen Kontrasten abzeichnet. Ich muss nur ein paar Schritte gehen, ehe ich auf einen Abgrund blicke – und auf meinen Reisegefährten, der hektisch seine Objektive wechselt.
Nicht ohne ein Mindestmaß an Ehrfurcht blicke ich auf die Passstraße, die sich in die Sandsteinformationen hineingräbt. Da also sind wir gestern bei Dunkelheit hinaufgefahren. 610 Höhenmeter mit einem 31-Fußmonster. In der Ferne mäandert der Colorado River durch die Schlucht, die er selbst geschaffen hat. In mehreren Hundert Millionen Jahren. Ich verdränge diesen Gedanken schnell, schließlich stehe ich ohnehin auf Kriegsfuß mit der Vergänglichkeit.
Perfekter Oktobertag in den Rocky Mountains
Wir stehen eine Weile paralysiert am Abgrund und starren auf dieses bizarre Gebilde. Bald wird uns klar, dass dies ein weiterer ziemlich perfekter Oktobertag werden könnte. Mit Sonne, blauem Himmel und Vollmond, zu dessen Auftakt wir das mutmaßlich einmalige Glück haben, in einer archaischen Wüstenlandschaft den Sonnenaufgang zu erleben.
Durch die unweigerliche Erdrotation ist das Licht nun auch in einen Canyon vorgedrungen, der vor wenigen Minuten noch finster wie ein Bärenarsch war. Im Gestein zeichnen sich die Jahrmillionen mit ringähnlichen Formationen ab. Hin und wieder gönnt sich die Natur den Spaß, eine derart wacklige Skulptur zu konstruieren, dass der Zutritt verboten ist.
Aufbruch zum Rim Road Drive
Zwei Stunden lang absorbiert uns dieser Mikrokosmos. Als wir uns endlich losreißen, sind wir hungrig. Im Recreational Vehicle, dessen Radio unverdrossen vor sich hin blinkt, plündern wir den Kühlschrank. Wir braten Zucchini, schneiden Bio-Käse auf und trinken frischen Orangensaft. Den mangels Filter im Kochtopf gebrauten Cowboy-Kaffee schütten wir weg.
Vor uns liegt der Rim Rock Drive, eine 40 Kilometer lange Straße, die sich so nahe an den Abgrund schmiegt, wie es Baukunst und amerikanische Waghalsigkeit nur zulassen. Gut, dass wir schon ein wenig Übung haben mit der Navigation unseres sperrigen Gefährts.
Mit dem RV durch Colorado: Eine Aneinanderreihung von Foto-Stopps
Als Fahrt möchte ich das Folgende dennoch nicht bezeichnen. Viel mehr handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Foto-Stopps: Wo immer Platz ist für 31 Fuß Auto plus zwei Fahrräder, halten wir an. Ein Schild verrät uns, dass die Sandsteingebilde, auf die mein Blick immer wieder fällt, zwei Milliarden Jahre alt sein sollen. Die knorrigen Wacholderbäume bringen es auf immerhin 900 Jahre.
Am südlichsten Punkt, als die Abfahrt ins Tal schon begonnen hat, wartet nun das, wovor die Eltern früher immer gewarnt haben: Des Teufels Küche. Für uns wird der Parkplatz zum Ausgangspunkt einer Wanderung über Stock und Stein. Mittlerweile herrscht T-Shirt-Wetter.
Grandioser Rundkurs für den Trip mit dem Wohnmobil durch Colorado
Wie so oft will die Strecke durch die freie Natur so gar nicht dem Sicherheitsfanatismus entsprechen, der die Städte, Suburbs und Flughäfen des Landes in seinem festen Würgegriff hält. Geländer und Schilder, die den Sturz in die Tiefe verhindern könnten, suchen wir in Devil’s Kitchen vergeblich. Dafür genießen wir das Privileg, uns alleine an diesem widerspenstigen Ort zu befinden.
Zu spät werden wir uns bewusst, dass der schwelgerische Vormittag auf unangenehme Weise mit unserem engen Zeitplan kollidiert. Schließlich haben wir für unseren Rundkurs durch Colorado nur fünf Tage Zeit. Etwas widerwillig lassen wir Grand Junction hinter uns, um Kurs in Richtung Süden zu nehmen.
Im Süden wird es alpin
Schweren Herzens müssen wir einen weiteren mythischen Ort links liegen lassen: Der Black Canyon of the Gunnison Nationalpark steht nun eben für die nächste Tour mit dem RV durch Colorado ganz oben auf der Liste. Mit dieser Entscheidung nehmen wir Zugleich Abschied vom prototypischen amerikanischen Westen. Nur rund 200 Kilometer weiter südlich gibt sich Colorado eher alpin.
Nach einem vorzüglichen Kaffee in Montrose sehen wir immer mehr Vorboten des Herbstes: Espen mit schillernd gelbem Laub. Es dauert nicht lange, ehe die schneebedeckten Gipfel der San Juan Mountains am Horizont auftauchen.
Ouray ist die amerikanische Variante des alpinen Bergdorfs
Unser Etappenziel heißt Ouray, die amerikanischen Variante eines kleinen Bergdorfs, das vornehmlich von perfekt ausgerüsteten Outdoor-Touristen aufgesucht wird. Wir steuern den 4J-RV-Park an, wo wir uns sofort wohlfühlen. Schnelles Wi-Fi, saubere Duschen, gähnende Leere. Im Hintergrund: Berge und das Rauschen eines Gebirgsbaches.
Zeit für Muße bleibt indes auch auf diesem Abschnitt unserer Reise mit dem Wohnmobil durch Colorado wenig, denn wir haben uns in den Kopf gesetzt, eine heiße Quelle aufzusuchen. Die Historic Wiesbaden Hot Springs haben uns neugierig gemacht. Sie verbergen sich hinter unasphaltierten Straßen am anderen Ende des Ortes.
Die Wiesbaden Hot Springs: Heiße Quellen in Colorado
Der Außen-Pool wird mit heißem Wasser gespeist. Nahezu unvergleichlich aber ist der Keller, wo wir in Flip-Flops und Badehose in ein finsteres Gewölbe gelangen, an dessen Ende ein schlichtes Becken wartet, das kniehoch mit fast 50 Grad heißem Thermalwasser gefüllt ist. An der Decke bezeugen kleine Stalaktiten, dass die Quellen tatsächlich »historisch« sind. Es herrscht eine stille Hitze.
Endlich ist es Zeit für Bier und Burger. In der Ouray Brewery finden wir weitere Belege dafür, dass jedes Durchschnittsdorf in Colorado inzwischen besseres Craft-Bier herstellt, als die deutschen Industriekonzerne, die immer noch selbstherrlich alle Superlative für sich beanspruchen. Die Balance aus Bitternoten und hopfigen Zitrusaromen des San Juan IPA hat es mir besonders angetan.
Braukunst in den Rocky Mountains
In dem Lokal treffen wir Katharina, die in Deutschland geboren wurde und in Denver aufgewachsen ist. Nun arbeitet sie für die örtliche Handelskammer. Eine gute Informationsquelle für unsere Reise mit dem Wohnmobil durch Colorado. Sie ist es denn auch, die uns zu Mr. Grumpy Pants aka Hutch führt, der sich gleichfalls dem Brauereiwesen verschrieben hat.
In seiner Ourayle House Brewery erhalten wir ein apartes Fläschchen, um uns durch das Sortiment zu probieren. Zufrieden stellen wir fest, dass der grummelige Mann sein Handwerk versteht. Er ist ein wahrer Braugott. Wir ordern eine Gallone IPA für schlechte Zeiten, ehe wir unser RV ansteuern. Dank des vorzüglichen Wi-Fi können wir daheim eine kleine Party feiern, wobei das RV möglicherweise ein wenig ins Schwanken geraten ist.
Viele Erlebnisse mit Bären
(Perspektivwechsel: ab nun erzählt Stefan die Geschichte über die Reise mit dem Wohnmobil durch Colorado weiter)
Am Morgen blinkt das funky Autoradio immer noch. Eine Etage weiter oben, im Kabuff über dem Cockpit, rumort es. Ralf wacht auf und verharrt zum Booten des eigenen Organismus‘ erst einmal in einer kleopatrahaften Haltung und blickt mich wortlos an. Wir haben noch einen Termin mit Linda. Sie ist die Besitzerin des Wiesbaden Hot Springs Motel. Eine äußerst aparte Erscheinung jenseits der Siebzig, die uns schon erwartet, als wir wieder im Motel auftauchen.
Auch heiße Quellen gehören zum Trip mit dem Wohnmobil durch Colorado
Mit durchgedrücktem Rücken sitzt sie regegungslos, als sei sie Teil des Interieurs, in einem Korbsessel, dessen Lehne sich wie riesige Elfenflügel hinter der Dame auffaltet. Linda trägt ein goldenes Amulett um den Hals und Ringe an den Fingern, ein cremefarbenes Fleece. Die Frau an der Rezeption hatte gesagt, sie sei nicht mehr ganz besammen, seit sie die Treppe runter gefallen ist.
Aber Linda erzählt wunderbare Geschichten. Von Bären, die ihr fast ins Haus gestiegen seien (»We have lots of bear experiences here!«), dass sie einmal Wölfe gehalten habe, auch ein Opossum und sogar ein Stinktier, das sie als Waise aufnahm. Und dass sie eine Entdeckung gemacht habe, nachdem sie das Anwesen mit der heißen Quelle in den Siebzigern gekauft habe: »Unter der Hütte am Hang verbirgt sich die Ruine von Chief Ourays Zuhause.« Nach dem Indianerhäuptling wurde später der Ort benannt.
Experimentelles Parken bei der Tour mit dem RV durch Colorado
Weil sich Linda leider nicht fotografieren lassen will, knipsen Ralf und ich uns übersprungshandlungshaft selbst am heißen Pool. Als wir die Wiesbaden Hot Springs verlassen, winkt Linda uns nach, als habe sie uns in ihr Herz geschlossen.Als wir uns auf Ourays Hauptstraße mit Proviant eindecken wollen, legen wir einen Stunt mit unserem 11-Meter-Vehikel hin. Die Parkbuchten im Bergdorf haben ein Gefälle wie der Trapezgiebel einer Almhütte. Mit unserem langen Ding könnten wir kaum einparken, ohne gleichsam als Straßenblockade zu wirken.
Also stellen wir uns quer über vier Lücken und kippen dabei fast um. Mit gefährlicher Seitenneigung steht das RV da, wie ein um 45-Grad gedrehter Quader. Ich traue mich kaum auszusteigen. „Ey, Alter, bleib mal als Gegengewicht auf dem Fahrersitz“, bitte ich Ralf – die Zeitungsüberschrift schon vor Augen: »Deutscher Honk von gigantischem Wohnmobil zerquetscht.«
Weiterfahrt im Schatten eine Felswand
Vor lauter Schreck fällt unser Einkauf etwas einseitig aus. Als Ralf das Wohnmobil zur Weiterfahrt ehrfürchtig langsam aus seiner akrobatischen Haltung auf die Fahrbahn zurück bugsiert, liegen auf meinem Schoß sechs bis zwölf Tüten eingeschweißten Trockenfleisches: Beef Jerky, Elk Jerky, gepfeffert und Teryaki-Style. Das Kleingedruckte weist etliche Geschmacksverstärker und Zusatzstoffe aus. Immerhin hat Ralf geistesgegenwärtig noch ein paar Flaschen Wasser besorgt.
Wieder geht es in Serpentinen bergan, dann Kilometer um Kilometer im Schatten einer Felswand entlang. Links der Stein, rechts der Abgrund. „So lange uns hier niemand entgegen kommt, ist alles gut“, sagt Ralf. Etwas nackensteif wirkt er. Dann eine lange Kehre gen Himmel. Selbst der 400 PS V10 hat seine liebe Mühe und klingt erkältet. Und es kommt jemand.
Im Wohnmobil durch Colorado: Der Beifahrer sitzt über dem Abgrund
Ein Sattelschlepper mit Baumstämmen. Alles hübsch anzusehen: Ein typischer US-Truck vor blauem Himmel und einer Rockys-Kulisse, doch leider mit einer Ladung, die sich der Kurve schlechterdings anpassen wird. Den Gesetzen der Physik folgend schneidet der Fernfahrer die Kurve, in unserem rechten Seitenspiegel ist kein Fitzelchen Fahrbahn mehr zu sehen. Wir fliegen.
Wir müssen geisterhaft kreidebleich sein, aber wir leben und sind immer noch an Bord unseres Erholungsfahrzeugs, in dem wir uns jetzt erstmal wieder locker machen müssen. Aber wir werden abgelenkt. Beziehungsweise denken wir wieder an unser Vorhaben, die Geisterstadt außerhalb Ourays aufzusuchen – von der Ironton Townsite war die Rede.
Ghost Town in den Rocky Mountains
Einige Meilen außerhalb des Ortes bringen wir unser RV auf einer Art Parkplatz zum Stehen. Zum ersten Mal kommen unsere Fahrräder am Heck zum Einsatz. Mit halbschlaffen Reifen radeln Ralf und ich in den Wald hinein, dann teilt sich der Weg. »Wo lang?«, frage ich. Recht geht es relativ steil bergan, der Pfad ist morastig, links sieht es wegsamer aus, aber wenig nach Ghost Town. »Und was ist mit Bären?«, fragt Ralf.
Wer brechen das Pedalritterintermezzo ab, auch weil wir keinen Plan haben, wo die zivilisatorischen Überreste der Gold- und Silbergräberzeit sein könnten. Dann regelt sich alles von selbst: Als wir uns mit dem fetten Ford wieder die Straße entlang schlängeln, blitzen links hinter einigen Koniferen ein paar Hütten auf.
Next stop: Silverton in den Rocky Mountains
Wie könnten wir es vergessen? In den USA sind die Attraktionen mit dem Auto erreichbar! Wir halten in einer breiten Kehre und laufen ein paar Meter die Straße zurück. Wir schießen ein paar Fotos der windschiefen Bretterbuden, trauen uns aber nicht, sie zu betreten. Sie wirken instabil wie ein Haufen Mikadostäbchen. Ein sich selbst überlassenes museales Relikt ohne Souvenirshop in der freien Natur.
Als die Straße auf dem Weg nach Silverton wieder interstate-mäßig breit ist, verspüren wir schon wieder Fotolust, die Landschaft ist schuld. »Hier können wir anhalten«, schlage ich vor. Gesagt getan, und im Kamerasucher findet sich die Szenerie wieder: Leuchtend gelbes Laub des Espen, dahinter die schneebedeckte Spitze eines der 50 Fourteener in Colorado, der Berge mit einer Höhe von 14.000 Feet. Die Grillen zirpen, die Luft tut gut. Die Straße heißt jetzt Silverton Skyroad. Viel Himmel, der sich in blauen Seen spiegelt, Bäume, Berge mit Schneeresten.
Tanken mit dem RV: Ein Fall für sich
Dann muss Treibstoff ran, nach über 400 Meilen ist der Tank fast leer, was einem Verbrauch von mehr oder weniger 30 Litern gleich kommt. Wie sich an der nächsten Zapfsäule zeigt, ist das eine Prozedur: Nur bis zu 100 Dollar pro Vorgang erlauben die meisten Self-Service-Tankstellen. Wir müssen die Kreditkarte zwei Mal zücken, am Ende sind wir um 180 Dollar erleichtert.
Unser Interesse weckt ein alter Dampfzug in der Entfernung, die Durango and Silverton Narrow Gauge Railroad, die regelmäßig vom Bergbaustädtchen Silverton 70 Kilometer nach Durango sich an Felswände schmiegend durch die hübsche Berglandschaft gondelt. Wir aber haben unserer Wohnung dabei und müssen auf Eisenbahnromantik verzichten. Dafür legt sich der Herbst ins Zeug. Foliage. Indian Summer. Am Straßenrand wachsen stockrosenartige Gewächse, die Gipfel der San Juan Mountains werden sanfter und weniger kantig und tragen keine Schneekrönchen mehr.
Zitterndes Espenlaub begleitet uns im Wohnmobil durch Colorado
Einmal halten wir neben einer Reihe von Espen und erfreuen uns daran, dass die Bäume die sprachliche Wendung »zittern wie Espenlaub« aufs Heftigste veranschaulichen. (Später schlage ich nach und erhalte eine weitere Bestätigung: »Populus tremuloides – Amerikanische Zitterpappel.«)
Wo bleibt sie die Tiefenentspannung auf diesem Trip im Recreational Vehicle? Sie naht mit jeder Meile, die wir uns Pagosa Springs nähern, einem Ort, in dem sie die Bürgersteige beheizen und über ein neues Geothermiekraftwerk nachdenken, denn man hat vor kurzem eine neue heiße Quelle entdeckt.
Schatten einer großen Katze
Zum Dinner checken wir in der Riff Raff Brewing Company ein und stürzen zum Feierabend Chilli Beer unsere Kehlen hinunter. Dazu Burger. Mit am Tisch sitzt Jennifer Green vom örtlichen Tourismusbüro, die über die Vorzüge ihres Ortes referiert, zum Beispiel, dass die nahe Wolf Creek Ski Area mit 11,80 Meter im Jahr den meisten Schneefall in Colorado abbekommt.
Dann erörtern wir eine interessante Frage. Es ist noch nicht allzu lange her, dass Cannabis in Colorado legalisiert wurde. »Man darf aber nur zu Hause kiffen, wer im Auto erwischt wird, muss 10.000 Dollar Strafe zahlen«, sagt Jennifer. Ist unser RV unser neues Zuhause? Wir können die Sache nicht abschließend klären.
Die Nacht gewährt uns unser Trumm erneut den Schutz vor der Wildnis da draußen. Ein Schatten schleicht auf dem Campground umher, der einer großen Katze verdächtig ähnlich sieht.
Informationen zur Tour mit dem Wohnmobil durch Colorado
Text & Bilder: Ralf Johnen und Stefan Weissenborn, zuletzt aktualisiert im November 2021. Die Reise mit dem Wohnmobil durch Colorado wurde von Colorado Tourism, Icelandair und CRD International unterstützt.
Icelandair fliegt ganzjährig direkt ab Frankfurt/Main und München, saisonal auch ab Hamburg, Zürich und Genf erst nach Island und von dort weiter zu 16 Destinationen in den USA und Kanada – unter anderem ins tolle Denver.
Das hat zwei gravierende Vorteile für einen Trip mit dem Wohnmobild durch Colorado: Nordamerika-Reisende können auf allen Transatlantikflügen 2 x 23 kg Freigepäck mitnehmen, in der Saga Class können diese jeweils 32 kg wiegen. Zudem haben Amerika-Passagiere die Möglichkeit zu einem bis zu siebentägigen Stopover in Island ohne Flugaufpreis.
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[…] 1 und 2 der Geschichte lest ihr hier und […]
[…] Teil 1 der Geschichte lest ihr hier. […]