Tucumcari führt wie kaum ein anderer Ort vor Augen, welch verheerenden Einfluss die Aufhebung der Originaltrasse der Route 66 in New Mexico hatte. Dennoch konnten sich mitten in der Wüste einige Motel-Klassiker halten (Episode 40/66).

Ein Ensemble von zeitloser Schönheit. Foto: Ralf Johnen
Inzwischen wissen wir: die Texaner haben die Route 66 weitgehend ausradiert. Doch rund einen Kilometer vor der Grenze zu New Mexico baut sich südlich des Freeways aus dem Nichts wieder eine Asphaltbahn auf, die der heißgeliebten Straße verdächtig ähnlich sieht. Und tatsächlich: ab der Ausfahrt Glenrio wird die Mother Road wieder zum festen Begleiter. Mal näher am Interstate 40, dann wieder weiter weg. In Tucumcari ist sie nicht mehr zu verfehlen.

Welcome to New Mexico, willkommen im Land der Verzauberung
Die Route 66 in New Mexico: Viel Platz und noch mehr Asphalt
Knapp 25 Meilen hinter der State Border macht die Interstate einen Bogen um Tucumcari. Die alte Route 66 hingegen führt schnurgerade ins Herz des Ortes. Dort zeigt sich auf brachiale Weise: An Platz mangelt es in Amerika ebenso wenig, wie an Asphalt. Beides zusammen gestattet es, dass eine fünfspurige Einfahrt in den Ort führt, die Großes erwarten lassen könnte. Doch weit gefehlt: die Hoffnung entpuppt sich als Illusion. Kaum 5400 Leute harren hier in einem Wüstenklima aus, das nur die Höhenlage von 1300 Metern annähernd erträglich macht.

Als wäre die Zeit stehen geblieben: Güterzug bei Tucumcari
Auch der erste Name, unter dem die Siedlung in die Geschichte eingegangen ist, lässt nicht auf eine Hochburg der Zivilisation schließen. Als »Six Shooter Siding« wurde der Ort dank diverser Schießereien bekannt, nachdem er 1901 als Versorgungsposten der Chicago, Rock Island and Pacific Railroad gegründet worden war.

Loneliness is a gun: die Route 66 in Tucumcari
Die Impressionen der Gegenwart allerdings täuschen. Archäologische Funde belegen, dass das enigmatische Volk der Anasazi hier schon im 13. Jahrhundert Bohnen, Mais und Getreide angebaut hat. Um das Jahr 1700 lebten hier die Apachen und Comanchen.
Tucumcari: Desolat, bis die Motel-Klassiker auftauchen
Heute wirkt Tucucari trotz des stahlblauen Himmels desolat. Bis wie aus dem Nichts das Historic Route 66 Motel auftaucht. Zusätzlich zum Neonschild machen zwei altmodische Flugzeuge auf das Etablissement aufmerksam, das sich in der Form eines halbierten Quadrates an den Highway schmiegt und dabei wahrhaftig eine gewisse Noblesse ausstrahlt.

Tucumcari ist gut erreichbar. Notfalls auch in der Luft
Die Fassade der Zimmerreihen ist auf Glaswände und Türen reduziert, die in geregelten Abständen von Ziersäulen unterbrochen werden. Der sonst in Palm Springs, Scottsdale und Los Angeles kultivierte Stil des Midcentury Modern lässt grüßen. Eine Gruppe von Sesseln aus Betonschalen, die einen Tisch umringt, lässt die Herzen von Fans dieser architektonischen Ausdrucksform noch schneller schlagen.

Wo ist Don Draper? Mid Century Modern in Tucumcari in New Mexico
Refrigerated Air im Blue Swallow Motel
Ein paar Hundert Meter weiter verspricht die weniger formschöne Roadrunner Lodge eine Nacht in einem »Magic Fingers Snazzy 60ies Room«. Als würde die Aussicht auf einen von magischer Hand todschick gestaltetes Sechzigerjahrezimmer die Leute massenhaft zum Anhalten bewegen.

Aufgeräumt: Die Roadrunner Lodge. Foto: Ralf Johnen
Kurz darauf erreichen die nostalgischen Gefühle ihren Höhepunkt. In Fahrtrichtung rechts baut sich das Blue Swallow Motel auf, dass seit 1939 Gäste empfängt – und das soll den Passanten der Gegenwart nicht entgehen. Ein mit einer Schwalbe verzierter Bogen überspannt den Weg vom Bordstein zur Lobby. In der Einfahrt zieht ein alter Pontiac die Blicke auf sich. Und ein Schild vermeldet: 100 % refrigerated air. Es ist ein Klischee. Doch die Zeit scheint für einen Moment wie stehen geblieben. Jemand müsste einen Song darüber schreiben.

Zwei Wasserlöcher vor dem Kadaver einer Tankstelle
Zum Abschied die Ruine einer Shell-Tankstelle
An der Ausfahrt des Städtchens, das ohne einen Stadtkern auskommt, folgt zum Abschied eine besondere Form der Ernüchterung: Die Shell-Tankstelle ist verlassen. Zapfsäulen und Shop sind zu Projektionsflächen für Graffitis geworden. Das Firmenlogo ist den riesigen Schildermast runtergerasselt. Die Scherben hat niemand entfernt. Auch das ist Tucumcari. Danach ist es vorbei mit dem Ort. Viel zu sehen gibt es nicht. Und doch ist es schön.

Wir sind in New Mexico – und schon werden Erinnerungen an Breaking Bad wach
Allgemeine Informationen über Tucumcari
Obwohl Tucumcari auf den ersten Blick nicht in jeder Hinsicht einladend wirkt, gibt es einige Sehenswürdigkeiten.
Mesalands Dinosaur Museum: New Mexico war Fundort diverser archäologischer Sensationen. Dieses rührige Museum zeigt einige von ihnen und erläutert die Hintergründe. Highlight ist das 12 Meter lange Skelett eines Torvosaurus. 911 South Tenth Street, Tucumcari. Geöffnet Dienstag bis Samstag von 10 bis 16 Uhr, der Eintritt kostet 8 USD (5 USD ermäßigt).

Tucumcari: Deserted in the desert
Tucumcari Railroad Museum Kleines Ausstellungshaus im restaurierten Bahnhof von 1926, das auch die Anfänge des Ortes thematisiert. 100 Railroad Avenue, Tucumcari. Geöffnet Mittwoch bis Freitag von 10 bis 16, Samstag von 10 bis 14 Uhr.
Die Homepage des Tourismusbüros hält weitere Anregungen für einen längeren Aufenthalt bereit. Wer weiß, wann man wieder hinkommt.

Symbolträchtiger geht es nicht: Shell am Boden. Foto: Ralf Johnen
Motels und ein Diner in Tucumcari
Blue Swallow Motel: Klassische Unterkunft, deren Zimmer dem Gast bewusst den Eindruck vermittelt, dass die 40er und 50er Jahre noch nicht vorbei sind. Ein Muss für Fans der Route 66. 815 E Route 66 Boulevard, Tucumcari, blueswallowmotel.com. Zimmer kosten um die 100 USD pro nacht.
Historic Route 66 Motel: Stilsicheres Domizil, das den Sprung in die Gegenwart geschafft hat – unter anderem mit einer Espresso-Bar. 1620 E Route 66 Boulevard, Tucumcari. Zimmer ab 85 USD pro Nacht, rte66motel.com.

Donny Darko II – gesichtet in Tucumcari
Kix on 66: Typisches roadside Diner mit großen Portionen und nicht immer gesunden Zutaten. Frühstück und Mittagessen. 1102 E Route 66 Boulevard, Tucumcari (im Winter geschlossen).

Ein zeitloser Klassiker an der Route 66: das Blue Swallow Motel
Die Route 66 auf Boarding Completed
Für unsere Sammlung von 66 mehr oder weniger bekannten Geschichten über die Route 66 haben wir uns nicht nur auf der Originaltrasse selbst umgesehen, sondern auch links und rechts des Wegesrandes. Die Story über Tucumcari ist die 40. Von der letzten Station in Texas in Adrian (zugleich Halbzeit der Route 66) fährst du gut 103 Kilometer nach Tucumcari. Bis nach Albuquerque, wo die nächsten Geschichten angesiedelt sind, beträgt die Distanz nicht weniger 283 Kilometer. Du ahnst bereits das Folgende: Unterwegs siehst du vor allem leere Landschaft.
Die Route 66 in New Mexico
Stolze 535 Meilen oder 861 Kilometer der Route 66 konnte New Mexico einst auf sich vereinen. Wie auch in den anderen Staaten wurde die Trasse mehrmals substanziell verändert. Eine Streckenführung hat die Reisenden sogar bis nach Santa Fe geleitet. Vielerorts wurde die alte Trasse durch den Interstate 40 ersetzt. Doch bis heute existieren zahlreiche Abschnitte der ehrwürdigen Mother Road. Das Tourismusbüro von New Mexico hält neben Informationen auch eine Karte mit den unterschiedlichen Streckenverläufen bereit.
Text und Bilder: Ralf Johnen, ich habe alle Informationen im April 2025 auf ihre Richtigkeit geprüft.
Comment
..auch das ist ein Teil Nordamerikas – so eindringlich fotografiert und beschrieben, daß sich die Einsamkeit auf den Betrachter und Leser überträgt und sie / ihn packt—-großartig !