In einer ehemaligen Werfthalle im hippen Amsterdamer Norden lockt das Street-Art-Museum STRAAT ein vor allem junges Publikum. Ein Besuch.

Starkes Statement: Eduardo Kobras „Let me be Myself“ an der Fassade des STRAAT
Straßenkunst im Museum. Funktioniert das, und wenn, ja warum? Diese Frage hat sich mir von selbst gestellt, als das Street Art Museum in Amsterdam Noord seine Pforten geöffnet hat.
Fünf Jahre Street Art Museum in Amsterdam
Mittlerweile nun existiert das STRAAT fast fünf Jahre. Währenddessen hat es sich zu einer veritablen Touristenattraktion gemausert. In einer ehemaligen Produktionshalle gelegen, wo einst Schiffsteile zusammengeschweißt wurden, fügt sich das Street Art Museum in Amsterdam perfekt in die raue Umgebung der NDSM-Werft ein.

Stoff für die Augen: das STRAAT in der Totale
Schon an seiner Fassade macht ein großflächiges Kunstwerk auf jenes Genre aufmerksam, das Besucher im Inneren des Ausstellungshauses erwartet. Es handelt sich um ein Mural, welches das Gesicht von Anne Frank zeigt, das der brasilianische Künstler Eduardo Kobra (Jahrgang 1975) durch den Einsatz von Farbfeldern moderat, aber effektvoll verfremdet hat.
Großflächiges Mural von Anne Frank
Das »Let me be myself« betitelte Werk ist zugleich ein erster Hinweis darauf, dass das Street Art Museum in Amsterdam Stil und Niveau besitzt. Schließlich ist Anne Frank eine Ikone von großem historischen Wert, deren Schicksal Menschen aus aller Welt generationenübergreifend bewegt. Eine wohltuende Feststellung in einer Zeit, in der Fußballer, Content-Sternchen und andere zuweilen leere Hülsen den öffentlichen Raum immer mehr zu übernehmen scheinen.

Ankunft mit Anne: Fähre bei der NDSM-Werft
Von dieser Erkenntnis gestärkt, betrete ich die Ausstellungshalle. Dort kann sich das STRAAT auf 8000 Quadratmetern ausbreiten. Als wäre das nicht genug, ist die denkmalgeschützte Werfthalle auch noch gut 20 Meter hoch. So besitzt das Entrée bereits ob der schieren Ausmaße einen gewissen Wow-Faktor. Die großformatigen Exponate mit ihren vor allem knalligen Farben kommen in dieser Umgebung auf fast schon natürliche Weise gut zur Geltung.
Das Street Art Museum in Amsterdam: keine Crowd Pleaser
Zu sehen gibt es in der gigantischen Halle rund 180 Werke von mehr als 170 Künstlern. Das STRAAT also setzt in erster Linie auf Vielfalt. Monografien sucht man ebenso vergeblich wie die Werke großer Stars wie Keith Haring, Jean-Michel Basquiat oder Banksy, die dem Genre maßgeblich zu seiner heutigen Popularität verholfen haben.

Bunt und kraftvoll: Street Art im Museum
Die Sammlung des Hauses allerdings ist bedeutend umfangreicher als die Ausstellung. Sie gehört dem Bildhauer Peter Hoogerwerf, der das Street Art Museum in Amsterdam Noord als Privatmuseum betreibt. Dabei kommt auch Graffiti zur Geltung, das als Vorläufer der heutigen Street Art gelten darf. Die Exponate, so heißt es seitens des Museums, wechseln regelmäßig. Ein häufig von Privatmuseen angewendetes Konzept, denn auf diese Weise geben sie Besucher den wohl besten Anlass, ebenso oft zurückzukehren.
Schlüsselwerk von Graffiti-Pionier Cornbread
Tatsächlich kommen Liebhaber sowohl von Graffiti als auch der weiter gefassten Street Art gleichermaßen auf ihre Kosten. Zu den festen Ausstellungsstücken etwa gehört eine Arbeit des Amerikaners Darryl McCray (Jahrgang 1953), der unter dem Namen Cornbread zu den Pionieren des Graffiti gehört. Es handelt sich um ein schlichtes Werk, das aus der nicht ganz unbescheidenen Aussage »Cornbread. I Start This Shit „1965“« [sic!] besteht. Eine Selbstthematisierung also, wie wir sie auch aus dem Hiphop kennen, und ein Statement, das der Künstler mit einem gesprayten Krönchen garniert.

Er hat damit angefangen: Klassiker von Cornbread im STRAAT
Gleichzeitig aber beweist Cornbreads Bild, dass Street Art durchaus museumswürdig sein kann. Was er, nach eigener Aussage, bereits als Zwölfjähriger im Norden Philadelphias angefangen hat, ist schließlich im Laufe von sechs Jahrzehnten zu einer globalen Kultur geworden. Man sich kann sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, dass Graffiti ein Motor für artverwandte Subkulturen wie Rap und Hiphop war, die seit Jahrzehnten tonangebend sind. Insofern ist »Cornbread. I Start This Shit „1965“« ein würdiges Schlüsselwerk der Sammlung.
Das STRAAT: Auch politische Kunst
Wie bereits angedeutet, fehlen im STRAAT die ganz großen Namen. Doch das ist nicht weiter tragisch, da der Verzicht auf sogenannte Crowd Pleasers Spielraum für andere Künstler lässt. Der Argentinier Alaniz etwa hat eine kräftige Arbeit namens »Lack of Sense of Emergency« beigesteuert. Als Vorlage hat ihm das Foto eines syrischen Kindes gedient, dem er einen Stacheldraht vor die Augen gelegt hat. Politische Kunst also.

Detailstudie: Im STRAAT gibt es für jeden etwas zu sehen
Ganz anders das Werk »Encourages«, für das der Südkoreaner Royyal Dogg verantwortlich zeichnet. Es zeigt eine elegante Frau mit afrikanischen Wurzeln, deren Körper er in einen koreanisches Gewandt gehüllt und deren Abbild er um 90 Grad gedreht hat. Zugleich der beste Beweis dafür, dass Street Art eine globale popkulturelle Bewegung mit internationalem Austausch geworden ist.
Ist Street Art reif fürs Museum?
Doch sind die ausgestellten Werke damit auch reif fürs Museum? Das sollten – wie in jedem Museum – die Besucher selbst entscheiden. Glaubt man dem STRAAT, so lässt der Zuspruch wenig Zweifel: Das Street Art Museum in Amsterdam Noord zählte zuletzt über 200 000 Besucher pro Jahr und somit mehr als 500 Interessenten pro Tag.

Platz für das Goldene Jahrhundert? Ja, lautet die Antwort im STRAAT
Verfechter der Hochkultur und Feuilletonisten geben in diesem Zusammenhang gerne leicht gönnerhaft zum Besten, dass es sich bei den Besuchern vor allem um eine junge Klientel handelt, die Museen im Alltag eher meiden. Davon aber profitiere der Kulturbetrieb langfristig, da sich den Besuchern in der Folge auch gewichtigere Genres erschließen. Von dieser Einschätzung mag man halten, was man will. Fest steht: das Street Art Museum in Amsterdam Noord hat seine Relevanz bereits bewiesen.
Kommt die Kunst noch von der Straße?
Interessanter ist die Frage, ob es sich überhaupt um Street Art handelt. Denn was das STRAAT weniger offensiv kommuniziert: Die meisten Exponate sind vor Ort als Auftragsarbeiten entstanden. Sie stammen also mitnichten von der Straße. Dies aber ist in diesem avancierten Stadium auch gar nicht möglich, weil sie an einer Hauswand oder einem Bahnwagon als Leinwandersatz nur schwerlich in ein Museum transportiert werden könnten.

Neue Perspektiven: »Encourages« des südkoreanischen Künstlers Royyal Dogg
Die Tatsache, dass relevante Künstler stattdessen mit Auftragsarbeiten überhäuft werden, beflügelt die Schlussfolgerung weiter, dass Street Art lebt. In der Breite bereichert sie unsere Städte – und in der Spitze ist sie eben museumsfähig geworden. Und ja, wer das STRAAT besucht hat, entscheidet sich vielleicht beim nächsten Mal für das Stedeklijk Museum in Amsterdam oder Museum Voorlinden bei Den Haag, statt in den Niederlanden shoppen zu gehen oder die Tulpenfelder zu begutachten. Der Kulturbetrieb könnte es sich wohl kaum besser wünschen.
Informationen zum Street Art Museum in Amsterdam Noord
Das STRAAT ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, montags erst ab 12 Uhr. Tickets kosten 19,50 Euro, wer die niederländische Museumskarte besitzt, erhält 25 Prozent Rabatt.

Kunstort: die NDSM-Werft in Amsterdam Noord
Lohnt sich der Besuch des STRAAT?
Ich war angenehm überrascht von Atmosphäre und Qualität der Exponate. Die Ausstellungshalle ist spektakulär. Auch wenn ich einige Werke nicht sonderlich originell fand, ist der Besuch des Museums kurzweilig und durchaus ergiebig.
Tipp: das Museumscafé befindet sich auf einer Empore. Von hier aus hast du einen vorzüglichen Blick in die Ausstellung.
Preis-Leistungsverhältnis: 7/10
Erlebniswert: 8/10
Standort: 8,5/10
Text und Bilder: Ralf Johnen, April 2025. Der Autor war privat im STRAAT.
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