Eine Weintour am Bodensee führt durch einige der schönsten Landschaften Deutschlands. Nach ausgiebigen Verkostungen versteht man, warum die Einheimischen keinen großen Drang verspüren, ihre Tropfen zu exportieren.
Locker und beschwingt parliert der Winzer über seine Philosophie: Er mag keine Weine produzieren, die den Konsumenten in die Knie zwingen. Weine mit viel Alkohol und ausgeprägten Tanninen – so wie sie der Zeitgeist gerade in der neuen Welt verlangt. Viel mehr hat dieser Winzer sich auf Tropfen spezialisiert, die leicht sind und frisch. Wie ein Frühlingstag in der Umgebung, in der die Trauben gedeihen.
Der Weinbauer klingt fast ein wenig lyrisch, wenn er über seine Profession spricht. Dabei bildet die Leichtigkeit, die seine Worte und seine Weine gleichermaßen auszeichnet, einen auffälligen Kontrast zur Umgebung, in der er steht. Der Redner nämlich befindet sich im ehemaligen Speisesaal von Schloss Salem. Und es handelt sich um niemand anderen als Bernhard Prinz von Baden, der hier über seinen Alltag spricht.
Schloss Salem: Der Erbprinz als Winzer
Als Erbprinz von Baden repräsentiert dieser eines des ältesten Adelsgeschlechter Deutschlands. Während die ruhmreiche Familie vor einigen Jahren weite Teil des pflegeintensiven Schlosses Salem an das Land Baden-Württemberg verkaufen musste, ist sie weiterhin stolzer Besitzer des Weinguts Markgraf von Baden.
Auf 135 Hektar Fläche werden hier vor allem edle Rebsorten angebaut, die ihren Ursprung in unweiter Entfernung haben: Spätburgunder, Chardonnay, Gewürztraminer und weitere Burgundersorten. »Wir wollen französische Wurzeln mit dem hiesigen Terroir verknüpfen«, sagt Bernhard von Baden über die Philosophie des Hauses.
Weintour am Bodensee: Visite im Schlosspark
Für den Urlauber ist der Genuss der feinen Tropfen allerdings nur die eine Seite des Vergnügens, denn der Besuch von Schloss Salem in Baden-Württemberg birgt eine besondere Erfahrung. Das mächtige Bauwerk nämlich wurde ab dem 12. Jahrhundert von den Zisterziensern als Kloster errichtet, ehe die Markgrafen von Baden es nach einer wechselvollen Geschichte im 19. Jahrhundert zu ihrem Residenzschloss machten. Wer Weine ab Hof kauft, wird um eine Visite von Schlosspark, Kloster, Bibliothek und Münster nicht umhin kommen.
Die Zisterzienser waren es auch, die am Bodensee den Anbau von Rebstöcken vorangetrieben haben. Dennoch aber ist der vom milden Klima begünstigte Süden Baden-Württembergs in der allgemeinen Wahrnehmung vornehmlich als Obstbauregion bekannt. Das mag daran liegen, dass der Bodensee zum Unverständnis vieler Winzer kein eigenständiges Anbaugebiet ist, sondern zur Region Baden gehört. Unter Kennern aber kursiert auch die Theorie, dass der Rest der Republik kaum in den Genuss der Weine kommt, weil die Anrainer des Sees diese lieber selbst konsumieren. Eine Weintour mit Schwerpunkt auf önologische Aspekte birgt denn auch manche Überraschung.
Weintour am Bodensee: Besuch einer bayrischen Exklave
Die erste präsentiert Josef Gierer – und sie ist geographischer Natur. Der Weinbauer nämlich ist in Nonnenhorn beheimatet. Das kleine Feriendorf zählt zum Territorium des Freistaats Bayern, weshalb Gierers Weine in Sachen Nomenklatur einen bemerkenswerten Spagat hinlegen müssen: Sie gehören zur bayrischen Exklave im Anbaugebiet Württemberg, was sich auch nicht wesentlich schlüssiger anhört, als die Zugehörigkeit der Kollegen zur Region Baden.
Auf sanft ansteigenden Hügeln breiten sich die Weinstöcke der Gierers direkt hinter dem auffällig modernen Domizil aus. Weil die Rebfläche von fünf Hektar nicht gerade üppig ist, vermietet die Familie auch Ferienwohnungen – eine geschmeidige Urlaubsoption für Liebhaber fruchtig geprägter und leichter Weine.
Müller-Thurgau vom Bodensee: das Terroir passt
Ein ähnliches Konzept verfolgt auch die Familie Schmidt, die im nahen Wasserburg Riesling, Sauvignon Blanc und einige Burgundersorten anbaut. Aber auch einen rassigen Müller-Thurgau, der derzeit eine Renaissance am Bodensee feiert. Begünstigt nicht nur von den milden Temperaturen, die vom nahen See abstrahlen, sondern auch vom graduell fortschreitenden Klimawandel, gibt dieser neuerdings eine erstaunlich gute Figur ab.
Winzer Eugen Schmidt führt dies auf Mikroklima und Böden zurück, den Ort also, auf dem seine Rebstöcke stehen. Gleichwohl scheint bei seinem Erklärungsversuch auch eine Sympathie für die Traditionen der Region mitzuschwingen. Schließlich hatten die Ahnen der heutigen Winzer den Müller-Thurgau schon seit Generationen kultiviert. Von Kennern wurden sie dafür lange verspottet. Flach und säuerlich, so lautete das (Vor-)Urteil. In der architektonisch spektakulären Vinothek des Weinguts kommen Schmidt und alle Absolventen einer Weintour am Bodensee heute jedoch zu einem anderen Urteil: »Der Müller-Thurgau passt am besten zum hiesigen Terroir.«
Der Bodensee: Deutschlands südlichstes Anbaugebiet
Ähnlich, wie sich auch Neubau des Weinguts bemerkenswert gut in die Landschaft einfügt: Das kathedralenhafte Konstrukt befindet sich auf dem höchsten Punkt des Anwesens, wo es einen spektakulären Blick über die Weinberge bis zum Bodensee gestattet. Ein Ausflugsziel, das sowohl von Wein-Freaks als auch von Reisegruppen angesteuert wird.
Geradezu archaisch geht es derweil auf der Insel Reichenau zu, die sich das südlichste Anbaugebiet Deutschlands zu sein rühmt. Hier, wo eine mehr als 1000 Jahre währende Weinbautradition existiert, bewirtschaften die Mitglieder des örtlichen Winzervereins insgesamt 18 Hektar. Und das auf ausgesprochen kleinteilige Weise, denn die Genossenschaft zählt nicht weniger als 56 aktive Mitglieder.
Ignoriert die Weinpäpste
Weil der Pro-Kopf-Ertrag entsprechend niedrig ausfällt, wird auf der beschaulichen Insel noch heute nach dem Prinzip eines Kollektivs gearbeitet: Die Trauben werden im Keller des ehemaligen Benediktinerklosters von Reichenau vinifiziert. Auch Verkauf und Vermarktung werden gemeinschaftlich vorgenommen. Es darf nicht weiter verwundern, dass der Müller-Thurgau auch hier populär ist – und dazu passt ein gut gemeinter Ratschlag von Geschäftsführer Gerhard Deggelmann: Man möge doch bitte die Freude am Trinken behalten, und sich nicht von den »Weinpäpsten« die Statussymbole aufzwingen lassen.
Diese sind den Bewohnern von Konstanz übrigens nicht ganz fremd. Die schicke Grenzstadt zur Schweiz mit ihren 80 000 Einwohnern ist so etwas wie die Metropole des Bodensees. Hier, wo der Rhein zwischen oberem und unterem See für kurze Zeit einen sichtbaren Fluss formt, hat sich die Genusskultur vielleicht am nachhaltigsten ausgeprägt.
Blick auf die Schweizer Alpen
Das mondäne Hotel Riva zelebriert in hypermodernem Ambiente örtliche Klassiker wie den Bodenseefelchen. Im Keller des Fünfsternehauses aber lagern auch rund 400 Positionen, wie Weinfreaks die Vielfalt des Angebots bezeichnen. Auch heimische Tropfen kommen dabei gebührend zur Geltung – nicht zuletzt auch, weil die Familie Kolb, die das Riva besitzt, beim Weingut Kress als Investor eingestiegen ist.
Wer mit einem Glas Spätburgunder in der Hand das Vergnügen hat, im Garten des Riva zu stehen, blickt mit ein wenig Glück nicht nur auf den See und die Altstadt von Konstanz, sondern auch auf die Ausläufer der Schweizer Alpen. Ein Anblick, der zum Niederknien schön ist. Diese Meinung teilt ganz gewiss auch der Prinz von Baden.
Informationen zur Weintour am Bodensee
Anreise: Mit dem Auto sind es von Köln bis nach Konstanz knapp 500 Kilometer. Alternativ ist ein Flug von Düsseldorf nach Zürich oder Friedrichshafen möglich (z.B. mit InterSky). Wer mit der Deutschen Bahn nach Friedrichshafen oder Lindau anreist, muss in Frankfurt und UIm umsteigen. Reisende nach Konstanz steigen in Köln oder Frankfurt und Offenburg um.
Generelle Informationen über die Weinregion Bodensee bietet die Webseite der gleichnamigen Organisation. Dahinter verbirgt sich ein grenzüberschreitender Zusammenschluss von Touristikverbänden aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und Liechtenstein.
Touristische Highlights: Die Pfahlbauten in Unteruhldingen sind ein Musterbeispiel für prämoderne Siedlungsformen am Bodensee. Die sehenswerten Ensembles besitzen den Status des UNESCO-Weltkulturerbes.
Das mittelalterliche Städtchen Meersburg am Nordufer des Sees beherbergt eine stattliche Residenz: Das Neue Schloss war der barocke Sitz der Fürstbischöfe von Konstanz.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im August 2022. Die Recherche wurde unterstützt vom Deutschen Weininstitut.
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