So gewöhnlich der Ort Raon L’Étape schon immer war, so ungewöhnlich empfanden seine Bewohner das, was da auf der kleinen Halbinsel »Ile Häusermann« 1967 installiert wurde. Dort wo bis dato nur eine Hütte gestanden hatte: »Die Außerirdischen sind da«, echauffierte man sich über die Ufo-artigen Gebilde. Heute bilden sie gemeinsam das Motel de l’Eau Vive.
Motel de l’Eau Vive: neun Wohnkugeln
Die Besucher waren neun, individuell geformte Wohnkugeln mit einer robusten Außenhaut aus Beton, wie man sie in Frankreich noch nicht gesehen hatte. Die hielt zwar den Regen ab, für den Eintritt in die Erdatmosphäre hätte sie nicht getaugt. Nein, extraterrestrische Wesen waren auf dem kleinen Eiland des Ortes in den französischen Vogesen nicht angekommen, etwas Organisches aber hatten sie an sich.
»Ich wollte den kollektiven Strukturen der Vorstädte etwas entgegensetzen«, sagte der Schweizer Architekt Pascal Häusermann kurz vor seinem Tod am 11. November 2011. Weltweit verwirklichte er 80 dieser Rundkonstruktionen.
Beton-Bubble von Pascal Haüsermann
Seine Architektur war in Werkstoff gegossene Kritik – an den Stadtplanern und an der Gesellschaft: Der Anonymität des Kollektivismus in Massenbausiedlungen wollte er Individualität entgegensetzen, explodierenden Kosten die preisgünstige Alternative. 12 000 Dollar kostete ein Beton-Bubble, wie das Time Magazin im Juni 1967 schrieb. »Warum teure Häuser mit dicken Wänden und Decken bauen, wenn eine dünne Betonhaut genügt?« Diese Frage stellte Häusermann.
Im praktischen Leben wurde aus den Betoneiern von Raon L’Étape bald ein modulares Motel. In knapp 30 Jahre wechselte mehrfach die Führung. Dann fristete die Pop-Art-Immobilie ein Schneewittchen-Dasein. Das Flüsschen Plaine umschmiegte die Insel wie eh und je, eine Familie bezog im neuen Jahrtausend vier der Bubbles, zog wieder aus. Und dann kamen die Popart-Fans, die ehemaligen Betreiber Bruno, Laurent, Laurence, Joël und Isabelle. Sie waren bis 2019 für das ehemalige Museomotel verantwortlich.
Sie waren begeistert, als sie die Kugelhäuschen zum ersten Mal sahen. Gleich wurde die ganze Insel gekauft: 185 000 Euro liehen sie von der Bank, 50 000 flossen in die Restaurierung. Das Eiche-rustikal-Interieur, mit dem sich die Familie einen stilechten Stilbruch geleistet hatte, musste raus. In der Gewissheit, ihr Ding gefunden zu haben, stiegen drei der fünf Freunde aus ihren Berufen aus: Laurence etwa hing nach 20 Jahren ihren Supermarktjob an den Nagel. Joël schmiss seinen lukrativen Elektroingenieurjob beim Autokonzern PSA. Seitdem wechselt er als Hausmeister die Glühbirnen und übt sich als Gärtner.
Seit 2007 ein Hotel in den Vogesen
Gut zehn Jahre empfing das Dorf der Beton-Bubbles Gäste. Die fünf Betreiber tauften es Museumotel, um auf das Museale des Hotels hinzuweisen. Möbel und Accessoires stammen vom Flohmarkt, eigentlich aber aus den fünfziger bis siebziger Jahren. Und wer auch noch die ausgelegten alten Zeitschriften liest, taucht vollends ins Space-Age ab: Paris Match bringt am 22. Januar 1966 die Ausgabe »Toute la terre vue de l’espace« mit nicht nur damals beeindruckenden Aufnahmen, die US-Astronauten von Mutter Erde schossen.
Im grün gestylten Chlorophylle-Bubble lehnen Siebdrucke an der gewölbten Wand. Eine Hommage an den Dänen Verner Panton darf mit dem Panton-Bubble nicht fehlen. Zwei Exemplare seines geschwungenen Stuhls Panton sind im Innern des Museumotels in den Vogesen drapiert, auch ein Wandteppich aus seiner Schöpferhand. Der Orange-Bubble ist die Referenz an die einstige Modefarbe; ein anderes Betonei hat die Fünfziger zum Thema. Das herzförmige Doppelbett des Love-Bubble soll sich gut für die Implikationen der Flitterwochen eignen, sagt Laurence.
Überhaupt schläft es sich ganz famos in einer der riesigen Eihüllen. Geborgenheit wie in einer riesigen Gebärmutter. Trotz dieses Vorzuges hat das Haus 2019 dichtgemacht. Nach einer aufwendigen Sanierung hat es 2024 unter neuem Namen aufgemacht. Das ehemalige Museomotel firmiert jetzt unter dem Namen Motel l’Eau Vive. Es ist genauso prächtig wie ehedem und eine absolute Empfehlung für einen Trip in die Vogesen.
Informationen zum Motel de l’Eau Vive
Das Haus ist nur saisonal geöffnet. Eine Übernachtung in einem der Betoneier kostet ab 159 Euro.
Text und Bilder zur Geschichte über das Museumotel in den Vogesen: Stefan Weissenborn, aktualisiert im Dezember 2024. Wer sich für die Vogesen interessiert, mag vielleicht auch eine Geschichte aus dem Elsass lesen.
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