Wer auf der Route 66 in Saint Louis unterwegs ist, entdeckt eine Stadt mit vielen Gesichtern. Der Delmar Boulevard ist die Demarkationslinie zwischen der wohlhabenden, weißen Stadt und den verfallenen Vierteln der Afroamerikaner. So wird die Straße zur Metapher für ganz Amerika.

Wenn Saint Louis eines besitzt, ist es Soul. Foto: Ralf Johnen
Auf dem Weg von Chicago nach Los Angeles ist Saint Louis die vielleicht spannendste, auf jeden Fall aber die größte Stadt. »That’s real cool city« heißt es heute sogar in Chicago anerkennend, wenn vom ewigen Rivalen der Vergangenheit die Rede ist. Diese Entwicklung aber ist noch relativ neu. Bis vor wenigen Jahren haben auch viele Fans der Route 66 die Stadt gemieden, weil ihr ein schlechter bis miserabler Ruf vorauseilte. Vorläufiger Tiefpunkt war eine Welle der Polizeigewalt, die 2014 im Vorort Ferguson regelrechte Straßenschlachten zur Folge hatte.
Die Route 66 in Saint Louis
Während Saint Louis schon immer zahlreiche interessante Facetten besaß, so ist es bis heute ebenso unwiderruflich von enormer sozialer Ungerechtigkeit geprägt. Im Norden und Osten der Stadt sind ganze Viertel von Armut und Elend gezeichnet. Viele Straßenblocks sind verlassen und verfallen, andere wurden bereits abgerissen – auch entlang der verschiedenen Trassen der Route 66, die in Saint Louis über die Jahrzehnte hinweg mehrmals verlegt wurde.

Rust Belt? Verrostete Eisenbahnbrücke an der Route 66 in Saint Louis. Foto: Ralf Johnen
Am kaum einer Straße werden die sozialen Unterschiede so drastisch deutlich, wie am Delmar Boulevard. Die Magistrale führt von der Innenstadt in nordnordwestliche Richtung auf gut 15 Kilometern einmal quer durch Saint Louis, wobei der Abschnitt zwischen Grand Boulevard und Taylor Avenue von 1926 bis 1932 Teil der Originaltrasse der Route 66 war, ehe diese sich dem bereits gepriesenen Forest Park zugewendet hat. Wer heute zwei Blocks weiter bis zur Euclid Avenue fährt (deren Vorzüge Gegenstand des Kapitels über das Central West End waren), gelangt zu einer der drastischsten Demarkationslinie der gesamten USA.

Ultrahip: Das Saint Louis Museum. Foto: Ralf Johnen
Delmare Divide in Saint Louis: Stadt mit zwei Gesichtern
Im Süden breitet sich ein traumhaftes Viertel aus, das überwiegend von Weißen bewohnt wird. Im Norden dagegen eine Stadtwüste, in der sich urbane Brachen, verrammelte Geschäfte und heruntergekommene Bauten abwechseln, unterbrochen nur von Fast Food-Buden, Tankstellen und Liquor Stores. Überflüssig zu sagen, dass hier fast ausschließlich Afroamerikaner und Einwanderer mit dunkler Hautfarbe zuhause sind. Willkommen am Delmar Divide.

Das moderne Restaurant Rooster in Saint Louis serviert Leckereien in Bio-Qualität. Foto: Ralf Johnen
Die Trennlinie ist alles andere als willkürlich. So hat sich Missouri zwar während des Bürgerkriegs nicht auf die Seite der Südstaaten geschlagen, die Sklaverei aber war trotzdem erlaubt. Nach dem Krieg war es damit zwar vorbei, doch wurde diese fast nahtlos durch die sogenannte Segregation oder Rassentrennung ersetzt: Afroamerikaner wurden weiterhin systematisch benachteiligt, diskrimiert und zum Teil körperlich verfolgt. Natürlich lebten sie auch weiterhin in den schlechten Vierteln der Stadt – mit Delmar Boulevard als bis heute sichtbarer Demarkationslinie.

Vintage Vinyl: Der beste Plattenladen auf dem Weg von Chicago nach Los Angeles. Foto: Ralf Johnen
Delmore Loop in Saint Louis
Doch Amerika wäre nicht Amerika, hätte die Straße nicht auch ihre glückliche Seite. Ungefähr auf der Höhe wo Forest Park endet, beginnt der Delmore Loop – die mutmaßlich abwechslungsreichste Einkaufs- und Entertainmentstraße von Saint Louis. Mit dem Loop Trolley verkehren hier nostalgische Straßenbahnen, als wären wir in New Orleans. Im Blueberry Hill gibt es Live-Music – allein Chuck Berry stand hier mehr als 200 Mal auf der Bühne.

Foto: Ralf Johnen
Der Club The Pageant glänzt Abend für Abend mit einem ansprechenden Programm. Vintage Vinyl zählt laut einer überregionalen Tageszeitung zu den zehn besten Schallplattengeschäften der USA. Und wer sich noch weiter in die Historie von Saint Louis und seine Bewohner vertiefen möchte, hat am örtlichen Walk of Fame dazu Gelegenheit. Hier werden neben Chuck Berry auch Miles Davis und Tina Turner gewürdigt.
Informationenen zur Route 66 in Saint Louis und dem Delmore Loop
Restaurant
Blueberry Hill (blueberryhill.com): Legendäres Lokal mit amerikanischer Wohlfühlküche und Konzertsaal. 6504 Delmar Boulevard, Saint Louis, tgälich von 11 bis 1.30 geöffnet, Küche bis Mitternacht.
Club
The Pageant: Live-Club mit abwechslungsreichem Programm von Indie bis Jazz. thepageant.com, 6161 Delmar Boulevard, Saint Louis.

Ein Stern am Walk of Fame am Delmore Loop für den Biografen von Ernest Hemingway. Foto: Ralf Johnen
Übernachtung
Moonrise Hotel: Ausgefallenes Boutique-Hotel mit dem Mond als Leitmotiv. moonrisehotel.com, 6177 Delmar Boulevard, Saint Louis.
Einkaufen
Vintage Vinyl ist ein fantastischer Plattenladen für Vinyl-Liebhaber aller Genres. vintagevinyl.com, 6610 Delmar Boulevard, Saint Louis, täglich von 10 bis 20 geöffnet, freitags und samstags bis 21 Uhr.

Chuck Berry rockt Saint Louis. Foto: Ralf Johnen
Allgemeine Informationen zu Saint Louis
Schau auf die Webseite von Explore Saint Louis (explorestlouis.com). Vom Delmar Loop aus pendelt der Loop Trolley (looptrolley.com) von Mai bis Oktober als Nostalgie-Tram mit schönen Waggons zwischen zehn Station hin und her. Die Fahrt ist kostenlos.
Die Route 66 in Missouri
Die Geschichte über den Delmar Devide ist Nummer 17 von insgesamt 66 Geschichten über die Route 66 auf Boarding Completed. Vom Saint Louis Art Museum, wo die 16. Story spielt, sind es weniger als drei Kilometer bis zum Delmar Loop. Bis zur grandiosen Union Station (Geschichte 18) sind es knapp zehn Kilometer.

Das legendäre Hotel The Chase
Ebenfalls besuchen solltest du die Old Chain of Rocks Bridge, das Grand Hotel The Chase und das Diner Ted Drewe’s Frozen Custard. Wenn du alles von Saint Louis gesehen hast, setzt sich die Trasse der Mother Road in Richtung Westen fort. Nun dauert es nicht mehr lange, ehe du einen höchst skurrilen Ort namens Cuba erreichst, wo eines sicher ist: Fans von Fidel Castro gibt es hier nicht.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt geprügt im April 2025.
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