Das Mündungsdelta von Rhein und Maas bezeichnen unsere Nachbarn als Rivierenland. Das fruchtbare Land hinter den Deichen gilt als Obstgarten der Niederlande. Es ist zugleich ein herrliches Revier für Wassersport, Wanderungen und Radtouren. In diesem anderen Holland scheint die gute, alte Zeit stehengeblieben.
Zum Auftakt unseres hoffentlich perfekten Wochenendes im Rivierenland denke ich, dass mir das Leben am Fluss ja wohlbekannt ist. Schließlich bin ich entlang seiner Ufer aufgewachsen. Der Rhein war immer da für mich. Dass er sich hinter der niederländischen Grenze verzweigt, erst einmal und dann immer öfter, um zu einem unübersichtlichen Geflecht von Wasserstraßen zu werden, die sich letztlich doch alle in die Nordsee ergießen, ändert nichts daran, dass ich mich hier spontan wie zuhause fühle.
Wochenende im anderen Holland: Check-in hinterm Deich
Auch die Tatsache, dass die Niederländer den nördlichen Seitenarm als Lek bezeichnen, irritiert mich wenig. Schließlich liegt der charakteristische Geruch des Stroms in der Luft – und der erinnert mich nun einmal an die Heimat. Auch jetzt an einem frühen Abend im Spätsommer, an dem wir soeben in unserem Bed & Breakfast eingecheckt haben, und ich auf den Deich bei Culemborg blicke.
Mal erblicke ich einen Rennradfahrer auf der Kuppe, dann wieder ist ein Jogger in die andere Richtung unterwegs. Doch auch blank polierte Oldtimer und sogar Linienbusse sind auf dem Damm unterwegs, dessen Höhe ich auf mindestens sieben Meter schätze. Ein merklicher Unterschied zu Deutschland, immerhin das Land der Autolobby, wo ich mich keines Deiches entsinnen kann, der für den motorisierten Individualverkehr freigegeben wäre.
Barrieren nicht nur gegen das Wasser
Merkwürdig, denke ich. Doch das nicht alles, was mich hier in diesem Teil der Niederlande verwundern wird. Viel mehr gewinne ich an diesem Wochenende im äußersten Westen der Provinz Gelderland den Eindruck, dass der Deich nicht nur das fruchtbare Land vor dem Temperament des mächtigen Stroms schützt.
Viel mehr scheinen die vielen Wälle, die das Leben im Rhein-Delta erst möglich machen, auch eine Barriere zum Rest der Niederlande zu bilden. Einem Land, in dem Fortschrittsglaube und Effizienzdenken kaum noch Platz bieten für archaisch anmutende Flecken wie diesen. Altmodisch charmant im besten Sinne.
Buren: Wo Wilhelm von Oranien geheiratet hat
Das beginnt schon mit dem Ausflug, den noch am selben Abend unternehmen. Mit dem Wagen nehmen wir Kurs auf Buren, was auch mit dem Rad möglich gewesen wäre, allerdings nicht ganz ohne Zeitnot, denn wir möchten noch einen Spaziergang durch die Stadt unternehmen.
Schon 1395 hat Buren Stadtrechte erhalten, was allerdings nicht zu explosivem Wachstum geführt hat: Heute zählt der Ort 2620 Einwohner, weshalb sich seine Bewohner gegen die Einstufung als Dorf nicht militant zur Wehr setzen.
Oranierstadt im Mündungsdelta von Rhein und Maas
Auch erfreut sich Buren in den Niederlanden royalen Ruhmes, denn Wilhelm von Oranien hat sich hier in eine gewisse Anna verliebt, die er 1551 in der Sint-Lambertuskerk geheiratet hat. In der Folge sollte der Prinz so viel an Einfluss gewinnen, dass man ihn in den Niederlanden bis heute als »Vater des Vaterlandes« bezeichnen.
Buren genießt seitdem den Ehrentitel der Oranierstadt, und auch die Königsfamilie zeigt sich zuweilen verbunden mit dem Ort. So nahm der heutige König Willem Alexander 1986 inkognito an der Elfstädtetour teil. Die Teilnehmerlist wies ihn seinerzeit als W. A. van Buren aus.
Auftakt zum Wochenende im Rivierenland: Diner im Obstgarten
Eine gute Geschichte, die das kleine Museum Buren & Oranje nicht unerwähnt lässt. Wir machen uns derweil zum Restaurant De Hofhouding (www.dehofhouding.nl) auf, wo wir unverzüglich über die Vorzüge des Landlebens zu schwärmen beginnen.
Keine Anzeichen von Hektik, reifes Obst an den Bäumen – und Schafe, die mit Blick auf eine Windmühle grasen. Auf den Teller kommen Leckereien wie Wildpastete und Salat mit Queller. Dazu trinken wir süffiges Hofke Bier aus einer lokalen Brauerei. Ein Freitagabend nach unserem Geschmack.
Als ich am nächsten Vormittag die Vorhänge aufziehe, fällt mein Blick zunächst wieder auf den Deich. Diesmal ist es eine Tracker-Parade, die sich auf den Weg macht. Wütende Demonstranten, wie so oft in jüngerer Vergangenheit? Nein, die bekunden ihren Unmut lieber weit hinter den Deichen in der Randstad.
Hier handelt es sich offenkundig um Liebhaber, die ihre Oldtimer noch einmal ausführen, ehe der Herbst weiter um sich greift.
Üppig gedeckter Frühstückstisch hinter der Deichkrone
Bald erfreuen wir uns eines üppig gedeckten Frühstückstischs. Eier vom Hof, Apfelsaft aus eigener Herstellung, Käse von einem Betrieb aus Culemborg und gleich mehrere Marmeladen. Fast alle Produkte gedeihen in der unmittelbaren Umgebung. Eine gute Grundlage für eine Radtour im Rivierenland, ein mir weitgehend unbekannter Landstrich.
Zunächst steuern wir Culemborg an, wobei wir erst über eine stattliche Allee fahren und danach über ein Sonnenblumenfeld staunen. Das Städtchen selbst zählt keine 30 000 Einwohner, kann aber ebenfalls auf eine reiche Historie zurückblicken. Im 13. Jahrhundert erstmals erwähnt, profitierte der Ort von seiner Lage an mehreren Handelsrouten. Im 16. Jahrhundert war der Wohlstand so weit angewachsen, dass die örtliche Bevölkerung einen flämischen Architekten mit dem Bau eines entzückenden Rathauses beauftragte.
Treppengiebel und Windmühlen
Die Niederländer selbst beachten den spätgotischen Bau mit dem Treppengiebel kaum, weil ja in so gut wie jeder kleinen, mittleren oder großen Stadt solche Gebäude überlebt haben. Doch Besucher aus fernen Landen werden ob der detailfreudigen Baukunst unweigerlich nostalgisch. Das gilt auch für den Anblick der turmhohen Windmühle am Rande der Innenstadt.
Angefixt von den Köstlichkeiten auf dem Frühstückstisch radeln wir weiter zu einem Obsthof. Nach knapp zehn Kilometern erreichen wir hinter dem Dorf Tricht De Hoenderik, wo Besucher gegen einen Obolus zum Selbstpflücken eingeladen sind. Der Besitzer erweist sich als knorriger Mann, der Reden nicht zu seinen Stärken zählen dürfte.
Doch an seinen Bäumen hängen dank der fruchtbaren Lehmböden dicke, voll reife, farbenfrohe Früchte: Mindestens 15 Sorten Äpfel, Birnen, Himbeeren und Erdbeeren. Nicht umsonst gilt das Rivierenland als Obstgarten der Niederlande.
Das andere Holland: Weit weg von der Großstadt
Wir schlendern durch die Haine und fühlen uns abermals weit weg von der Großstadt. Da wir mit dem Rad unterwegs sind, müssen wir uns im üppig bestückten Hofladen mit ein paar Kleinigkeiten begnügen. Saft und Äpfel passen in den Korb – und das wird ja hier wohl niemand mitgehen lassen. Selbst wenn der Tag lang ist.
Wir machen uns auf den Weg nach Zoelen. Ein von einem Wassergraben eingerahmtes Schlösschen beflügelt unsere Tagträume vom reinen Leben auf dem Lande weiter. Wir radeln nach Osten, dann nach Norden und schließlich wieder in Richtung Westen, wobei wir immer wieder die hilfreichen Knotenpunkte passiere.
Um eine nachvollziehbare Strecke kümmern wir uns dennoch nicht, dafür ist der Tag zu schön – und zum perfekten Wochenende im Rivierenland gehört auch, dass wir keinen Zeitplan haben.
Frietjes im Fährhaus
Plötzlich merken wir, dass sich das Licht verändert und der Nachmittag in den frühen Abend übergeht. Höchste Zeit, uns um einen Platz für die Nahrungsaufnahme zu kümmern. Wir hatten von einem Fährhaus unmittelbar am Lek gehört. Auf Nachfrage hat t‘ Veerhuys Beusichem noch einen Tisch unter freiem Himmel frei. Es gibt Salat, Muscheln und »frietjes«, dazu dramatisches Licht.
Später hören wir die vertrauten Klänge einer Fähre, die baugleich zu sein scheint mit den Modellen, die zwischen Köln und Bonn verkehren.
Die verbleibenden Kilometer über den Deich zurück zum Bed & Breakfast erfreuen wir uns am samtigen Licht und an den milden Temperaturen. So wird das Wochenende im Rivierenland ein kleiner Sommernachtstraum.
Wanderung entlang der Nieuwe Hollandse Waterlinie
Am nächsten Vormittag tun wir uns schwer mit der Vorstellung, schon wieder auschecken zu müssen. Doch sobald wir am Rande von Culemborg den Wagen verlassen, sind wir wieder mit dem Leben versöhnt. Wir haben uns eine kleine Wanderung vorgenommen – und der Jan Blankenpad bringt uns abermals zum Fluss.
Der Pfad geleitet uns ohne Umwege in die Flussauen – und zugleich tief in die niederländische Vergangenheit. Das Gebiet um Culemborg war Teil der Nieuwe Hollandse Waterlinie. Die strategische Verteidigungsanlage ermöglichte es, im Falle einer Bedrohung durch feindliche Streitkräfte einen Landstreifen von mehreren Kilometern Breite zwischen dem heutigen Ijsselmeer und dem Rheinarm am Biesbosch bei Dordrecht zu fluten.
So sollten Amsterdam, Utrecht und andere wichtige Städte vor der Einnahme geschützt werden. An Pfählen befestigte QR-Codes erläutern unterwegs, was es damit auf sich hat.
Bier anstelle von Munition
Nachdem wir dem Fluss den Rücken zukehren, wandern wir vorbei an einem stillen Gewässer zum Deich. Als wir diesen erklimmen, stehen wir vor Fort Everdingen, einer mächtigen Verteidigungsanlage aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Hier haben die Niederländer Waffen und anderes Schutzmaterial gelagert. Wie ein angrenzendes System aus künstlichen Wasserstraßen und Schleusen bis heute attestiert, konnten sie auch an dieser Stelle ihr eigenes Land fluten, um Eindringlinge in die Flucht zu schlagen.
Auch Kanonen erinnern noch an Zeiten, als der Frieden in Mitteleuropa keine Selbstverständlichkeit war. Fort Everdingen selbst besitzt heute keine strategische Funktion mehr. Die komplett von Gräben umgebene Anlage beherbergt nun einen Campingplatz, während sich in den dicken Gemäuern die Brauerei Duits & Lauret niedergelassen hat. Weiterer Worte bedarf es nicht, um die Vorzüge unserer Zeit zu beschreiben.
Kanutour zum Abschluss des perfekten Wochenendes im Rivierenland
Jetzt aber können wir es kaum erwarten, endlich selbst aufs Wasser zu kommen. Hierzu haben wir uns einen Fluss auserkoren, der wie gemacht scheint für eine Kajaktour: die Linge. Der Fluss gehört mit einer von knapp 100 Kilometern zu den längsten, die sich ausschließlich über niederländisches Territorium erstrecken.
Die Linge bahnt sich zwischen den beiden Hauptarmen des Rheins ihren Weg in Richtung Westen, wobei sie an einer Stelle – ein Kuriosum oder gar ein weltweites Unikum – unter dem Amsterdam-Rhein-Kanal her fließt. Die geschäftige Wasserstraße wird hier über eine Brücke geführt.
Zum Abschluss unseres Wochenende im Rivierenland besteigen wir unser Boot in Enspijk, das ebenfalls noch zum Obstgarten der Niederlande zählt. Nachdem wir in den Nationalparks Weerribben-Wieden und Alde Faenen in Kanus unterwegs waren, haben wir uns diesmal für einen geräumigen Kanadier entschieden. Mit diesem paddeln wir ohne Eile flussabwärts, wobei wir Seerosen, eine Seilfähre und hübsche Häuschen mit eigenem Anleger passieren.
Spätsommerliche Betriebsamkeit auf der Linge
Auf dem Wasser herrscht gebührender Verkehr, schließlich notieren wir einen sonnigen Spätsommertag. Niederländer verstehen dies als Aufforderung, möglichst viele Freunde einzusammeln und dann so schnell wie möglich die Leinen loszumachen, um mit einem Bierchen in der Hand das Leben zu genießen. Andere bevorzugen Stand-up-Paddles, während Dritte im Ruderboot unterwegs sind, um Beifall heischend ins Wasser zu springen.
Als wir eine schlohweiße Windmühle erblicken, beschließen wir einen Anleger aufzusuchen. Beim Bootsverleih haben wir ein Picknick mitbestellt – und das erweist sich als ausgesprochen schmackhaft.
Ein Nickerchen zum Abschluss
Später lernen wir, dass die Schwiegertochter des Verleihers für Curry-Brötchen, Erdbeer-Creme und Smoothie verantwortlich ist. Wir genießen die Leckereien im Boot, wobei unser Blick wahlweise auf die grasenden Schafe, die Mühle oder die sehenswerte Parade anderer Verkehrsteilnehmer fällt.
Die äußeren Umstände laden zu einem Nickerchen ein. Stattdessen entscheiden wir uns, noch weiter die Arme zu betätigen. Mal halte ich dabei den linken Fuß ins Wasser, dann wieder den rechten. Dabei gedeiht bereits der Plan, möglichst bald wiederzukommen ins Rivierenland. Es warten noch eine Menge Highlights – und es ist ja nicht weit.
Informationen für ein perfektes Wochenende im Rivierenland
Genächtigt haben wir im Bed & Breakfast De Appelgaard, das mit Preis zwischen 65 und 100 Euro. Die vier Wohneinheiten sind auf charmante Weise altholländisch eingerichtet. Die freundlichen Besitzer stellen Besuchern auf Wunsch auch Fahrräder zur Verfügung.
Für einen wunderbaren Radausflug eignet sich die Route Betuwe’s Best, die gut ausgeschildert ist. Wir haben uns bestenfalls lose an die Route gehalten.
Unser Boot haben wir bei Lekker aan de Linge gemietet. Das Zweipersonenkajak kostet für einen halben Tag 25 Euro, das köstliche Picknick kommt auf 15 Euro pro Person.
Der Bauernhof mit Obst zum Selbstpflücken heißt De Hoenderik. Hier gibt es auch einen schönen Hofladen sowie ein Bed & Breakfast.
Weitere Informationen über das Rivierenland
Das Rivierenland ist eine niederländische Bezeichnung für das Mündungsdelta von Rhein und Maas. Im Wesentlichen handelt es sich um das Gebiet zwischen dem nördlichen Rheinarm Lek, der Waal und der Maas, die in kurzer Distanz zueinander in Richtung Nordsee fließen. Der Abstand der drei Flüsse liegt dabei zwischen 25 und 50 Kilometer. Das Rivierenland gehört zu einer Region im Zentrum der Niederlande, die sich als Das Andere Holland vermarktet.
Das Rivierenland unterscheidet sich erheblich vom Rest der Niederlande. Viele Bewohner gehören den Reformierten Kirchen an und sind streng gläubig. Wegen der stetigen Bedrohung durch das Wasser liegen zwischen Nijmegen und Arnhem ist Osten, Utrecht im Norden, Den Bosch im Süden und Dordrecht im Westen keine größeren Städte.
Nah und preisgünstig
Von Deutschland aus ist der Landstrich leicht erreichbar. Von Köln bis nach Culemborg sind es 200, von Bremen 340 Kilometer.
Nach unseren Erfahrungen ist im Rivierenland fast alles deutlich günstiger als an der Küste oder in den Städten.
Text und Bilder: Ralf Johnen, Oktober 2022. Die Geschichte über das Wochenende im Rivierenland ist als bezahlte Kooperation mit Marketing Oost entstanden. Die Marketingorganisation vertritt das Rivierenland unter anderem in der Provinz Gelderland.
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