Wäre Fox News ein Ferienort, sähe er aus wie Pigeon Forge oder Gatlinburg. Seit Reporter Benno von Archimboldi die Great Smoky Mountains besucht hat, versteht er die USA – und das, wozu sie geworden sind.
Das Beste war noch unser Besuch auf dem Berg, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Es war Sonntagmorgen und es herrschte dichter Nebel. Ich weiß noch, dass in der Mitte eines verwaisten Parkplatzes ein Vintage-Polizeiwagen stand, dessen Türen nicht abgeschlossen waren. Sonst war es mausetot.
Wir wollten ein vielleicht letztes Mal mit dem jugendlichen Zeitgeist gehen, indem wir uns für die Ausübung einer Trend-Sportart angmeldet haben. Warum es Downhill-Mountainbiken geworden ist, kann ich nicht mehr sagen. Fest aber steht, dass wir auf dem wolkenverhangenen Berg niemanden angetroffen haben, weshalb wir besagte Cop-Karre zur Requisite umfunktioniert haben. Die Fotos sind ziemlich gut geworden.
Skatepunks im Nebel
Nach mehr als einer Stunde lichtete sich der Nebel. Plötzlich kam ein älterer Typ in beigefarbenen Klamotten und einem teigigen Gesicht an, der sich in tiefem Slang als Präsident der örtlichen Handelskammer vorstellte. Es war Sonntag und O‘Neill, so hieß der Mann mit Vornamen, hatte Quasselwasser getrunken.
Er laberte uns irgendwas vor, sinngemäß ging es wohl darum, dass es lange nicht geregnet hatte, was wir bestätigen konnten, denn ursprünglich waren wir wegen einer Rafting-Tour in diesen Teil der USA gekommen, die wegen niedriger Wasserstände ausgefallen war. Auch sei grad Brunftzeit der Hirsche, die man hier in den Great Smoky Mountains »elk« nannte.
Wir entschuldigten uns mit dem Hinweis, dass hinten am Lift grad ein Wagen vorgefahren sei. Ob der Action-Teil doch absolviert werden konnte? In diesem Fall wären wir wenigstens nicht ohne Grund auf diesen eher unspektakulären Berg gefahren. Tatsächlich waren die vier Skatepunks wegen uns gekommen. Doch sie machten einen bekifften Eindruck, während sie sich Schoner über Knie und Ellbogen zogen. Sie dachten wirklich, dass wir sie gegen eine Gebühr dabei filmen wollten, wie sie den Berg runterbrettern. „Media“ halt. Doch wir auf einem Mountainbike? Das sehen sie ehrlich gesagt nicht.
Frittierte Perversionen
Die restlichen Tage in den Great Smoky Mountains waren nicht besser. Die Menschen fanden es normal, dass auf Volksfesten frittiertes Snickers und getrocknetes Fleisch angeboten wurde. Sie bezahlten drei Dollar pro Einheit. Es gab die größten Dixie-Klos, die ich meinem Leben sehen würde. Der Wald war vor allem in den Gipfellagen mausetot. Und die Frau des Bürgermeisters einer Kleinstadtnamens Bryson City war, sprach beim Abendessen recht ungeniert davon, dass sie alle zwei Wochen beim Arzt sei, um sich die Kehle weiten zu lassen.
Ich mochte die USA eigentlich. Fast überall gab es dieses Spannungsfeld zwischen sehr fürchterlich und ziemlich großartig, das minütlich umschlagen konnte. Doch hier im Grenzgebiet zwischen North Carolina und Tennessee drohte das Pendel unumkehrbar in eine Richtung auszuschlagen. Dies hier war kein Landstrich in dem man einen Amerikaner mit dunkler Hautfarbe, einen Hispanic oder einen Asiaten sehen würde.
Nein, das hier war das Herzland Amerikas. Die Zone humorloser Vaterlandsverherrlicher, von denen die meisten keinen Pass besaßen, weil sie keinerlei Veranlassung sahen, ihr Land jemals zu verlassen, und die mit einer gewissen der Schlussfolgerung erlegen sind, ihre United States seien »God’s own country«.
Themenparks für pensionierte Patrioten
Bryson City war ein Städtchen, von denen es Tausende gibt in den Vereinigten Staaten, und sie alle eint, dass sie längst tot gewesen sind, Opfer der individuellen Mobilität und der Verlagerung aller Einkaufsmöglichkeiten auf die grüne Wiese, ehe sie als kleine Themenparks für pensionierte Patrioten wiederbelebt wurden, mit Fachgeschäften für überteuerte Chili-Saucen und vermeintlich handgemachter Schokolade, sogenannte Antiquitäten und der unvermeidlichen Brauerei mit sechs IPAs frisch vom Fass.
Eine sehr sentimentale Siedlungsform, deren besonders avancierte Vertreter oft eine von Dampfloks angetriebene Eisenbahnlinie im Repertoire haben, die in härteren Zeiten ein wichtiger Bestandteil des Verkehrskonzepts gewesen ist, nun aber nur noch der Bespaßung verzogener Vorstadtkinder dient.
Ich, der den Nationalparks des amerikanischen Westens in quasireligiöser Manier erlegen gewesen bin, dachte still, dass es auf der anderen Seite der Grenze in Tennessee nur besser werden konnte. Doch dies entpuppte sich spätestens dann als Irrglaube, als wir die Passstraße hinab nach Pigeon Forge gefahren sind, um uns Dollywood anzusehen.
Ich möchte mich gar nicht über Dolly Parton beschweren, die aus der Gegend kommt, und sich offenbar von ihrem Manager davon hat überzeugen lassen, dies auf ihre alten Tage endlich kommerziell auszuschlachten. Ich möchte lediglich mein Erstaunen über ihren Namen zum Ausdruck bringen, bei dem er sich nicht um ein Pseudonym handelt.
Erschöpfte Tänzer
Und ich stelle die Frage, was man von einer Region halten soll, in der die Leute auch an einem lächerlich heißen Spätsommernachmittag nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen, als zwischen dekorativen Kürbisreihen und Holzachterbahnen den Bewegungschoreographien dauermüder Squaredance-Formationen zuzusehen, während desillusionierte Dienstleistungsdrohnen darauf achten, dass die Besucher dem umfangreichen Regelkatalog gehorchen, der ihre Aktivitäten im Wesentlichen auf das Anstehen vor besagten Achterbahnen und ähnlichen Attraktionen oder die Benutzung des Gift Shops beschränkt.
Wir verließen den Themenpark mit gemischten Gefühlen und wir waren aufrichtig gespannt auf das, was uns nun bevorstand: eine Nacht in einem Hotel, wo das gesamte Jahr über Weihnachten gefeiert wird. Ich hatte davon gelesen und ich fand die Idee faszinierend.
Die Simulation des ranghöchsten christlichen Festes, das zugleich die wichtigste Familienfeier ist, an 365 Tagen im Jahr? Das versprach abermals eine Scheinwelt, die ausschließlich Amerikaner annehmen konnten. Wir mussten dafür ein wenig durch Pigeon Forge cruisen, wo es auch sonst viel zu sehen gab, wonach man andernorts vergeblich Ausschau hält.
Der Ort bestand im Wesentlichen aus einer endlosen vierspurigen Straße, an der sich eine Merkwürdigkeit an die andere reiht. Zuerst kamen wir an einem verwaisten Areal vorbei, auf dem offensichtlich kürzlich ein Feuer gewütet hatte. Inmitten der verkohlten Ruinen stand ein winkender Weihnachtsmann, das schien ein wichtiges Thema für das Städtchen zu sein, das laut Statistik des Einwohnermeldeamtes irgendwo abseits der Schnellstraße 6000 Einwohner beherbergt.
Falsches Fachwerk
Auch The Inn at Christmas Place liegt an der Schnellstraße, deren schlichter Name Parkway der Sache in keinerlei Hinblick gerecht wird. Es ist eines von Dutzenden Hotels in Pigeon Forge, an deren Rezeptionen Tag für Tag gut 25.000 Besucher ihre uniformen Schlüsselkarten in Empfang nehmen. Dabei genießen die Great Smoky Mountains allenfalls den Stellenwert einer Kulisse. Für sich betrachtet, sind die Berge auch reichlich unspektakulär: Der Clingmans Dome bringt es grade mal auf 2025 Meter.
Zwar sind die einzelnen Kordilleren dicht getaktet und in zuweilen sehenswerte Nebelschwaden gehüllt. Damit können sie es vielleicht mit dem Schwarzwald aufnehmen, nicht aber mit einem noch so unbedeutenden State Park westlich des Mississippi. Trotzdem sind nicht etwa Yellowstone, Yosemite oder der Grand Canyon der meistbesuchte Nationalpark, nein, es sind die Great Smoky Mountains mit ihren frittierten Schokoriegeln.
Schuld ist Pigeon Forge – und ein bisschen wohl auch Gatlinburg, der Nachbarort, über den noch zu reden sein wird. Gemeinsam beherbergen beide groteske 20,3 Millionen Besucher pro Jahr. Einige kommen, weil sie Dollys Dauer-Squaredance sehen möchten. Andere wollen halt Weihnachten feiern, wann immer ihnen danach zumute ist.
Traurige Kuckucksuhren
Das hierfür angefertigte Gebäude heißt Inn at Christmas Place und versucht der Erwartungshaltung mit einer Fassade aus kleinen Türmchen, Miniatur-Giebeln und fleckenlosem Fake-Fachwerk gerecht zu werden. Drinnen ist dann noch mal eine andere Nummer: Plastiktannen, Billig-Engel, Fake-Kerzen, farblich völlig überfrachtete Adventskränze, eine traurige Krippe, stilisierte Kuckucksuhren und ein matt wirkender Wachsweihnachtsmann mit speckiger Haut. Am Check-in läuft »Jingle Bells«, egal ob am 1. Mai oder am 31. August.
Ich stellte mir vor in dieser Scheinwelt zu arbeiten. In diesem permanenten Wettstreit zwischen Realität und Illusion würde vielleicht auch ich wie gebannt auf den Fernseher glotzen, wo wahlweise Football läuft oder die Reporter von Fox News geschulten Journalisten unterstellen, die Unwahrheit zu verbreiten. Vielleicht würde auch ich einen narzisstischen Immobilienmagnaten, der regelmäßig in einer Reality-TV-Show herumhampelt, als geeigneten Kandidaten für das Amt des amerikanischen Präsidenten halten.
Vielleicht könnte ich mich gar dem Glauben hingegen, dass sich alle Zimmer von selbst sauber machen, weil es der Weihnachtsmann versprochen hat, weshalb es keiner Arbeitskräfte mit komischen Hautfarben aus weniger privilegierten Ländern bedarf. Ja, wenn ich 365 Heilige Abende pro Jahr feiern würde, hielte ich womöglich auch eine Krankenversicherung für überflüssig.
Pigeon Forge: Ein Wahn wie auf LSD
Als ich schließlich in meinem mit Kunstschnee ausstaffierten Gemächern lag, war ich mir endgültig sicher auf LSD zu sein. Auch schien ich plötzlich zu verstehen, warum Amerikaner wirklich glauben, dass etwas besonders gut schmeckt, nur weil jemand das Wort »Gourmet« auf ein Etikett gedruckt hat. Gourmet Cheeseballs. Oder Gourmet diet Cheddar. Und Gourmet fatfree butter. Trotz dieser Erleuchtung blieben mir einige Sachen unklar.
Wieso die Amerikaner zum Beispiel in sämtlichen Hotelzimmern Wert auf die Gesellschaft ebenso riesiger wie leerer Kühlschränke legten, die nachts unter großem Gepolter ansprangen, um im Zusammenspiel mit der Klimaanlage und der Eismaschine eine Kakophonie zu erzeugen, die es problemlos mit den Dezibel-Zahlen eines vierstrahligen Düsenjets aufnehmen kann, bei der eines ganz gewiss nicht möglich ist: schlafen.
Doch ich schweife ab. Und es gab auch eine Habenseite auf diesem Trip: Im Anschluss an diese denkwürdige Nacht sind wir nach Jackson, Tennessee, aufgebrochen, wo wir sechs Stunden später in Brook Shore’s Old Country Store W.S. »Fluke« Holland getroffen haben, den Eingeweihte als lebenslangen Drummer von Johnny Cash kennen. Sein sanftes Gemüt und seine Anekdoten werde ich nicht vergessen.
Die Welt war wieder in Ordnung. Dennoch sollte ich in den kommenden Jahren, als Amerika immer amerikanischer wurde, noch oft an Pigeon Forge denken. Deshalb war ich gespannt, als mich ein Job zurück in die Great Smoky Mountains führen sollte. »A supposedly fun thing to do, that I will never do again« reloaded.
Sessellifte für die SUV-Fahrer
Wieder war ich nicht alleine in diesem Teil der Welt. Zum Glück. Diesmal sind wir in Gatlinburg gestartet, das näher am Berg liegt und wo es mehrere Sessellifte gibt, die natürlich reine Show sind, denn die Gipfel der Erhebungen befinden sich hier kaum 150 Meter über dem Tal. Aber der SUV-Klientel mit den bedenklichen Ernährungsgewohnheiten gefällt es auch mal in einem Transportmittel zu sitzen, das im normalen Kontext eher Sportlern vorbehalten ist.
Ganz nebenbei simulieren sie auch noch einen Hauch von Naturerlebnis, wobei sich die Bergstation kaum vom Boarding-Terminal unterscheidet: Es gibt große Burger, riesige Softdrinks und noch größere T-Shirts. Dazu den Blick auf einen kolbenförmiger Bau aus Beton, unser Hotel. Dahinter mehrere Hügelketten, ein zugegeben schöner Anblick in der rauchigen Luft.
Später am Tag kommen wir in Pigeon Forge an einem klassizistischen Tempel vorbei, der auf dem Kopf steht. Darin verbirgt sich ein Kuriositätenkabinett. An der Fassade einer stilisierten Wolkenkratzerskyline klettert ein überdimensionaler Gorilla hoch. Der schon für sich gesehen größenwahnsinnige Mount Rushmore existiert hier in einer Zweitfassung mit den Konterfeis von Marilyn Monroe, John Wayne, Elvis Presley und Charlie Chaplin, was bei mir als Anhänger der amerikanischen Populärkultur Konfusion hervorruft. Die Menschen essen in einem Schnellrestaurant, das mein Schwager als Scharia-Bar bezeichnen würde. Will heißen: es gibt dort ausschließlich Fleischgerichte und Softdrinks.
Freude an Wasserspielen
Ganz in der Nähe lockt eine neue Kunstwelt, die bei meinem letzten Besuch noch nicht da war. Hauptattraktion ist ein Springbrunnen von der Größe eines Fußballplatzes, der lückenlos von Adirondack Chairs eingerahmt wird. In den nordamerikanischen Design-Ikonen viele Menschen, von denen einige sehr korpulent sind. Es sind scheinbar recht genügsame Zeitgenossen, die sich an Wasserspielen erfreuen, die mit einigem technologischem Aufwand im 30-Minuten-Turnus aufgeführt werden. Jeden Tag zu festgeschriebenen Uhrzeiten. Untermalt mit immer identischen Country-Schnulzen.
Kurz darauf fahren wir auf einen riesigen Parkplatz, der zu gut einem Drittel mit Pick-ups, SUVs und Komfort-Reisebussen gefüllt ist. Völlig ausgelastet wird er wohl niemals sein, dieses Priveleg ist in Amerika den Parking Lots von Outlet Malls am Zweiten Weihnachtstag vorbehalten. Existenzberechtigung der großzügig bemessenen Asphaltfläche ist ein Nachbau der RMS Titanic im Maßstab eins zu zwei.
Auch das ist Pigeon Forge: Eine Titanic in den Bergen
Das in den Bergen gestrandete Schiff hat nur zwei Schornsteine. Es beherbergt 400 Originalartefakte aus der Zeit vor der Entdeckung des Wracks und nennt sich größtes permanentes Titanic-Museum der Welt. Sein Bau hat angeblich 25 Millionen Dollar gekostet. Auf besagtem Parkplatz erschallt aus billigen Lautsprechern in Dauerschleife Celine Dions »My Heart will go on«. Ich habe das beklemmende Gefühl, dass die Band immer weiterspielen wird. Unabhängig davon, wer der Kapitän dieses Schiffs namens Amerika ist oder wer es sein wird.
Abermals stelle ich mir vor, hier jeden Tag meiner Arbeit nachzugehen. Ob das wohl leichter oder schwieriger zu ertragen wäre, als die niederträchtigen Auswirkungen bewusstseinsverändernder Substanzen. Danach begeben wir uns auf einen der vielen Trails, die von Gatlinburg in die abgelegene Natur führen. Dieser ist wirklich sehr schön. Entsprechend schnell geht es uns besser.
Über Benno von Archimboldi und seinen Besuch in Pigeon Forge
Benno von Archimboldi ist Schriftsteller, Utopist und Melancholiker. Er lebt in Santiago de Chile, Venedig und an einem unbekannten Ort im Süden Portugals. Benno leidet ein wenig darunter, lediglich eine fiktionale Figur aus dem Roman »2666« von Roberto Bolaño zu sein. Aus diesem Grunde gibt ihm das Team von Boarding Completed in losen Abständen Gelegenheit, sein Weltbild darzulegen – zuletzt in Köln. Davor ist von Archimboldi für uns in Portugal und Venedig unterwegs gewesen. Die Meinungen von Archimboldis sind unabhängig entstanden, für die Reisekosten ist die Redaktion aufgekommen.
Leave A Reply