Bei meinem Roadtrip durch South Dakota habe ich grandiose Landschaften gesucht und gefunden. Ganz nebenbei konnte ich mir die Vorzüge der amerikanischen Provinz in Erinnerung rufen. Ein Highlight ist der Buffalo Roundup im Herbst.
Ich bin der Erste, der an diesem herrlichen Herbstmorgen auf dem mit Holzplanken ausgelegten Parcours unterwegs ist. Es riecht intensiv nach dem Holz von Koniferen und es herrscht vollkommene Stille. Als ich nach knapp zehn Minuten Fußmarsch nach oben blicke, sehe ich sie ganz aus der Nähe: die 18 Meter großen Köpfe von Abraham Lincoln, George Washington, Thomas Jefferson und Theodore Roosevelt. Vier amerikanische Präsidenten, deren Gesichter in den Flanken eines Bergs verewigt sind: Mount Rushmore.
Es ist eine Demonstration von Größenwahn, gewiss. Zugleich aber versinnbildlicht der Berg die uramerikanische Überzeugung, dass nichts unmöglich ist. Erst recht nicht, wenn es so patriotisch ist, wie der Kniefall vor jenen Präsidenten, die 1941 bei der Planung des Monuments als die bedeutendsten der Landesgeschichte galten. Als Landesoberhaupte standen für Werte wie Freiheit, Gleichheit und Pioniergeist.
Mount Rushmore in South Dakota: Cary Grant als Lebensretter
Vor Ort denke ich kurz darüber nach, ob das Quartett nach heutigen Erkenntnissen vielleicht anders zusammengestellt wäre. Bald aber gebe ich mich einem anderen Gedanken hin: Für mich ist Mount Rushmore an erster Stelle ein romantischer Ort. Schließlich war der in South Dakota gelegene Berg Schauplatz der grandiosen Schlussszene von Hitchcocks »Der unsichtbare Dritte«, in der Cary Grant furchtlos das Denkmal hinunterklettert, um die blonde Doppelagentin Eve Marie Saint vor dem drohenden Absturz zu retten. Herrlich!
Damit war Alfred Hitchcock genau das gelungen, was der Mount Rushmore ursprünglich bewirken sollte: ein paar interessierte Blicke auf South Dakota lenken, weil der Bundesstaat sonst gerne durchs Raster fällt. Obwohl recht nah gelegen, berührt er die Rocky Mountains nicht einmal. Gleichzeitig gehört er nicht zum Westen der USA, wie es in der Literatur definiert ist. Und selbst bis zum Yellowstone Nationalpark oder zu den großen Seen im Osten st es mit dem Auto eine Tagesreise.
Roadtrip durch South Dakota: The Real America?
Wie ich nach Vollendung meiner kleinen Wanderung über den »Presidential Trail« feststelle, geht das Konzept auf: Schon um 9 Uhr in der Früh reihen sich Dutzende Busse auf dem Parkplatz des Nationaldenkmals aneinander. Wenige Stunden später begegnen mir die Präsidenten auf einem Billboard erneut. Dazu die knappe Botschaft, dass South Dakota nicht weniger als »The Real America« sei.
Auf dem Weg in den Custer State Park frage ich mich, was damit konkret gemeint sein könnte. Auch könnte ich mir vorstellen, dass sich in Zeiten wie diesen etwas Bedrohliches hinter dem Slogan verbirgt. Bald darauf aber schweift mein Blick über sanfte Hügel und weite Felder. Dahinter erhebt sich die Bergkette der Black Hills, deren Flanken von Eichen und Espen besetzt sind. Das Herbstlaub ist melodramatisch eingefärbt. Ich stelle mir vor, dass all dies tatsächlich so etwas wie das wahre Amerika sein könnte.
Die Buffalo Corrals im Custer State Park
Am nächsten Morgen bin ich noch früher auf den Beinen, um zu den Buffalo Corrals zu fahren. So bezeichnen die Einheimischen die Gegend am Ostrand des State Parks, in der sich jedes Jahr im Herbst um die 20 000 Menschen versammeln. Vor Ort helfen ihnen Zelte, Tribünen und Campingmöbel bei der komfortablen Gestaltung des Tages. Ich selbst habe das Privileg, die Ladefläche eines Pick-ups besteigen zu können, auf den mich ein Farmer eingeladen hat.
Über Stock und Stein brettern wir durch die majestätische Landschaft. Es dauert nicht lange, ehe ich einen ersten Büffel sehe. Dann sind es zwei, drei – und plötzlich steht eine ganze Herde vor mir. Als wären die Tiere, die vor wenigen Jahrhunderten zu Hunderttausenden den amerikanischen Westen bevölkert haben, nie von den Siedlern ausgerottet worden, die es im 19. Jahrhundert auf das noch weithin unentdeckte Land und seine Reichtümer abgesehen haben.
Offroad durch den Custer State Park in South Dakota
Auch Gabelhornantilopen und Wapiti-Hirsche begegnen uns auf der Offroad-Exkursion durch den Custer State Park In South Dakota. Als ich schließlich zu einer Hügelkuppe hinaufblicke, wähne ich mich endgültig in vergangenen Zeiten. Oben wartet einen Handvoll Reiter auf ein Signal der im Tal versammelten Cowboy-Kollegen, um die im State Park residierenden Büffel einzukreisen.
Auch einige Pick-ups sind in den Plan eingebunden, der sich zu einem bemerkenswerten Schauspiel auswächst. Binnen Minuten treibt die Allianz aus Pferden, Reitern und Maschinen rund 1300 Büffel vor sich her. Sie scheren mal nach rechts aus, dann wieder nach links. Sie trampeln energisch und wirbeln viel Staub auf. Und doch werden sie immer weiter in die Enge getrieben. Als sie schließlich kapitulieren, wagen sich zwei Reiter in ihre Nähe. Sie halten triumphierend zwei Flaggen hoch: die von South Dakota und die der USA. Derweil bin ich mir einigermaßen sicher: Das hier ist das wahre Amerika.
Zum Buffalo Roundup nach South Dakota
»Buffalo Roundup« heißt das Spektakel, das trotz der typisch amerikanischen Show-Einlagen einigen Notwendigkeiten dient. Nachdem sie im Bundestaat South Dakota schon als ausgestorben galten, hat man die Symboltiere des Mittleren Westens 1914 im heutigen State Park wieder angesiedelt. Seitdem ist die ursprünglich kleine Herde beständig gewachsen. Weil es sich bei ihnen aber nicht um reinrassige Büffel handelt, sind die Tiere anfällig für Krankheiten. Gegen diese impfen die Besitzer sie im Gehege. Manche Cowboys nutzen den Abtrieb auch dazu, einzelne Tiere für Auktionen auszusortieren.
Seit 1965 ist aus dem »Buffalo Roundup« eine stetig wachsende Veranstaltung geworden. Die Arbeit ist am heutigen Tag schon gegen 10.30 Uhr getan. Zunächst aber sorgen sich die Reiter noch um eine Kollegin, die bei hoher Geschwindigkeit vom Pferd gefallen ist. Doch als ihr Zustand als ordentlich vermeldet wird, widmen sie sich den angenehmen Seiten des Lebens. Fortan sind Buffalo Burger und Bud Light angesagt. Eine gute Gelegenheit nochmal nachzufragen, was es denn mit »The Real America« so auf sich hat.
Man kennt sich, man hilft sich und man braucht keine Veränderung
Bob Lantis hat davon eine klare Vorstellung: »Es ist das einfache Leben hier auf dem Lande.« Der 86 Jahre alte Veteran hat immerzu mit Büffelherden zu tun gehabt. Erst im Yellowstone Nationalpark und nun in South Dakota. Zu seiner Vorstellung vom wahren Amerika gehört: Man kennt sich, man hilft einander und man ist mit allem so zufrieden, dass es keiner großen Veränderungen bedarf.
Die endlose Weite und Zeitlosigkeit der Landschaften sind Bestandteil dieses Lebensstils. Das erfahre ich am nächsten Tag am eigenen Leib, als ich zwei Stunden nordwestlich in einem Dorf fahre, um den Roadtrip durch South Dakota fortzusetzen. Das Ziel genießtauch in Deutschland eine gewisse Bekanntheit: Deadwood. Tatsächlich spielt hier im Nordwesten South Dakotas die gleichnamige Fernsehserie, deren Figuren auf lustige Weise nach den schroffen Charakteren des Wilden Westens der 1870er Jahren modelliert sind.
Stippvisite in Deadwood beim Roadtrip durch South Dakota
Für den Dreh wurde die Straßenzüge zwar nachgebaut. Auch das reale Deadwood jedoch besitzt das Zeug zu einer Kulisse für verschrobene Aufnahmen. In den überwiegend zweigeschossigen Backsteinbauten aus der Gründerzeit Akerikas befinden sich Hotels, Saloons und allerlei andere Institutionen, die man mit der Epoche verbindet.
Dazu gehören auch Casinos und Glücksspielautomaten. Seit 1989 sollen sie den Glanz und die Verruchtheit vergangener Zeiten zurückbringen. Heute verleiht der vermeintliche Besucheranreiz dem Städtchen eine traurige Note. Das Zocken gehört eben nicht unbedingt zum Lifestyle der Millenials.
Der Hausmaler von Harley Davidson
Scott Jacobs fühlt sich trotzdem ausgesprochen wohl in Deadwood. Der Maler blickt auf eine typisch amerikanische Lebensgeschichte zurück: 1989 hat er damit begonnen grelle Acrylgemälde anzufertigen, in deren Mittelpunkt neben leicht bekleideten Frauen und kernigen Typen Motorräder aus dem Hause Harley Davidson standen. Als der Konzern davon Wind bekam, wollte er den Maler ursprünglich wegen Verletzung des Markenrechts verklagen. Letztlich aber fanden die Verantwortlichen, dass ihre Produkte derart gut inszeniert waren, dass sie Jacobs als offiziellen Hausmaler verpflichtet haben.
Diese Rolle nimmt der 59-Jährige bis heute dankbar ein. Doch nach langen Jahren in San Diego hat er nun eine Galerie (Jacob’s Gallery) im beschaulichen Deadwood eröffnet. »Warum? Weil ich den Stress, die Staus und die ganzen Maseratis leid war.
Und weil ich gerne hin und wieder einen Martini trinke. Der kostet in Kalifornien 18 Dollar. Hier bezahle ich sechs.« Letztlich sei er auf der Suche nach einem schlichten Leben gewesen, in dem alle Leute freundlich sind. So, wie im wahren Amerika.
Rapid City: Die kleine Hauptstadt des wahren Amerika
Dieses Amerika besitzt sogar eine Hauptstadt, die ich nach einer Fahrt durch den spektakulären Spearfish Canyon erreiche. Sie trägt den Namen Rapid City und zählt knapp 60 000 Einwohner. Ein fürchterlich langweiliges Provinznest, könnten USA-Kenner anhand dieser Randdaten mutmaßen. Doch weit gefehlt: der Roadtrip durch South Dakota beweist, dass Rapid City eine intakte Downtown mit einem Nachtleben besitzt.
Ich besuche die Firehouse Wine Cellers, die im Staat hergestellte Weine zur Verkostung anbieten. Ich diniere im köl zu Abend, wo fast alle Gerichte auf offener Flamme zubereitet werden und dessen Einrichtung eher an den Chic von Miami erinnert. Und abschließend tauche ich ab in die Katakomben des Press Start, wo Pac Man, Frogger, Space Invaders und andere Videospiele an Originalautomaten zum Geschicklichkeitstest bitten.
Dazu fällt mir nur noch das Wort »funky« ein, die amerikanische Universalvokabel für die Coolness von Städten. Nur eben ohne Staus, Kriminalität – und nah an der Natur.
Downtown Rapid City Vinylschallplatten und der Fireball Run
Am folgenden Tag laufe ich nochmals durch Downtown, auch weil ich meinen schwärmerischen Gesamteindruck auf den Prüfstand stellen möchte. Es ist Samstag und natürlich kann es Rapid City nicht mit New York oder auch nur mit Denver aufnehmen. Doch die überschaubare Innenstadt ist rappelvoll – und als ich mit Black Hills Vinyl ein gut sortiertes Fachgeschäft für Vinylschallplatten entdecke, bin ich endgültig von den Qualitäten dieses Lebensentwurfs überzeugt.
Am Nachmittag gerate ich in eine parade, den Fireball Run. Aus diesem Anlass sind die Bürgersteige der Main Street mit klassischen Automobilen amerikanischer Bauart bestückt. Auf der Straße ziehen unterdessen ein paar DeLoreans vorbei, wie es sie in »Zurück in die Zukunft« zu sehen gab.
Zum Abschluss paradieren vier Maskottchen durch die Menschenmenge, die mir bekannt vorkommen. Es sind Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln in einem Gewand aus Gummi. Sie also stehen auch heute noch für das, was ich in den zurückliegenden Tagen entdeckt habe. Und das ist wahrscheinlich gut so.
Informationen zum Roadtrip durch South Dakota
South Dakota bildet gemeinsam mit North Dakota, Montana und Wyoming jene Region, die sich als »The Real America« vermarktet. Die touristische Saison dauert von Mitte Mai bis Mitte Oktober, wobei der Juli und der August mit Höchsttemperaturen von bis zu 40 Grad sehr heiß sein können.
Anreise nach South Dakota
Mit Lufthansa/United über Denver oder mit KLM/Delta über Minneapolis nach Rapid City. Die Flüge kosten etwa 1000 Euro. Ein Mietwagen vor Ort ist unabdingbar, Komplettangebote ab 400 Euro/Woche bei Sunny Cars. Die Stationen dieser Route ergeben eine Gesamtstrecke von etwa 500 Kilometern, die man bequem in einer Woche absolviert kann.
Unvergessliche Unterkünfte in South Dakota
Sylvan Lake Lodge Gemütliche Lodge in Höhenlage des Custer State Park, ab 160 $.
Martin Mason Hotel Traditionsreiche Unterkunft aus der Gründerzeit des Wildwest-Städtchens Deadwood, ab 100 $.
Text und Fotos zur Geschichte über die Suche nach dem wahren Amerika: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Dezember 2021. Der Autor war auf Einladung des Tourismusbüros von The Real America auf der Suche nach dem wahren Amerika.
Comment
..wieder unglaublich schöne, gute und eindrucksvolle Fotos und Beschreibungen des Amerika, das gerade die ältere Generation – also meine – kennt, und das Sehnsüchte wiedererwckt, nach dem Kennenlerner amerikanischer Soldaten – lieber, netter Jungs aus den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen – vor langer, langer Zeit.