Das Piemont eignet sich perfekt für einen winterlichen Roadtrip. Wenn der Schnee ausbleibt, ist das kein Problem. Schließlich lockt der Norden Italiens viel so vielen Leckereien.
Ein wenig skeptisch waren wir schon, als wir nach Nordwestitalien aufgebrochen sind. Ein winterlicher Roadtrip durchs Piemont stand uns vor Augen. Doch Schnee ist kaum gefallen in den Seealpen und aktuell zeigte das Thermometer in Limone Piemonte deutlich über null Grad an. Würde das zum Skifahren reichen? Noch so eben, stellen wir am nächsten Tag fest.
Winterlicher Roadtrip durchs Piemont: Schnee zum Auftakt
Es ist Ende Februar und obwohl der Wintersportort auf mehr als 1000 Metern Höhe liegt, sind die Wiesen weitgehend grün. Schuld sind laut Skilehrer Francesco die Bergriesen in Frankreich westlich von Limone. Sie haben die feuchte Luft und den Niederschlag in diesem Winter ferngehalten. Doch Besserung sei in Sicht: morgen soll kräftig was herunterkommen, mehr als in den vergangenen drei Monate zusammen.
Ein paar Stunden vergnügen wir uns in dem Skigebiet. Wir erfreuen uns an den guten Bedingungen am höchsten Punkt, den auf 2085 Metern gelegenen »Tre Amici«. Am Chalet de Marmotte wedeln wir für einen Moment auf der Grenze zu Frankreich. Und wir stellen fest, dass das Skigebiet mit 80 Kilometern Piste erstaunlich großzügig ist. Nach Mittag jedoch wird der Schnee zusehends sulzig.
Cannelloni an der Piste
Doch das ist uns ganz recht, denn damit haben wir eine gute Entschuldigung, endlich in ein Lokal einzukehren. Unsere Wahl fällt auf das Baita 2000, das neben rustikalen Räumen im Stile einer alpinen Hütte auch über ein schickes Restaurant verfügt. Hier kommt eine Platte mit Motsetta auf den Tisch, ein raffiniert gewürzter Rinderschinken, der in den westlichen Alpen sehr populär ist. Es folgen köstliche Gnocchi mit Fontina-Käse und Bohnen.
Zur Krönung erhalten wir orangefarbene Cannelloni mit Burrata und einem Genueser Pesto. Erste Indizien für die Richtigkeit unserer These, dass Wintersport im Piemont eine sichere Bank ist – losgelöst vom Wetter. Zufrieden lassen wir den Tag ausklingen. Hat etwas, so ein winterlicher Roadtrip durchs Piemont.
Schneeketten plötzlich gefragt
Beim Frühstück herrscht plötzlich Unruhe. Die angekündigte Kaltfront soll erhebliche Niederschlagsmengen mit sich bringen. Daher empfiehlt uns die Rezeptionistin so schnell wie möglich nach Prato Nevoso aufzubrechen.
Der Ort ist nur 65 Kilometer entfernt. Doch wenn es zu schneien begonnen habe, sei er nur schwer erreichbar. »Habt ihr Schneeketten«?
Schneeschuhwanderung
Trotz des wolkenverhangenen Himmels kommt uns die Panik angesichts von vier Grad über Null und einem rundum grünen Tal leicht übertrieben vor. Auf halber Strecke des Schlussanstiegs zum 1500 Meter hoch gelegenen Wintersportort aber beginnt es heftig zu schneien.
Es fehlt nicht viel und wir müssen die Ketten anlegen. So willkommen der Neuschnee ist, so unmöglich macht er das Skifahren. Schon jetzt sind gut 20 Zentimeter gefallen. Der Nebel ist dicht – und es schneit weiter. Also entschließen wir uns dazu, es mit einer Schneeschuhwanderung zu probieren.
Winterlicher Raodtrip durchs Piemont: Perferketer Pulverschnee
Behäbig kraxeln wir durch den perfekten Pulverschnee. Weil es fast windstill ist, nimmt das Winterwunderland immer unwirklichere Züge an.
Da wir die Schneeschuhe nun einmal haben und die Straßenverhältnisse unwirtlich sind, möchten wir die Sportgeräte auch weiterhin nutzen. Wir steuern das Lokal an, das wir für unser Mittagessen ausgesucht haben. Inzwischen pfeift uns ein erbarmungsloser Wind um die Ohren. Unterwegs passieren wir Fahrzeuge, die anstelle von Rädern mit ausgeklügelten Kettenkonstruktionen ausgestattet sind. Die Leute hier meinen es ernst mit ihrer Winterausrüstung.
Hütte mit Kamin
Der Ski Grill Pratonevoso aber rechtfertigt alle Mühen. Wir betreten eine gemütliche Hütte mit Kamin und Holzbalken. Auf den Tischen stehen kostspielige Weingläser, die auf gehobene gastronomische Ambitionen schließen lassen. Zur Ouvertüre gibt es ein langsam gegartes Ei mit einer käsigen Sauce, es folgt ein Risotto und schließlich eine Portion Rippchen, die auch einem Bergmann genügen würde. Dazu wagen wir uns zaghaft an die Rotweine des Piemont heran.
Draußen schneit es indes unbeirrt weiter. Wir finden uns damit ab, heute nicht mehr auf die Piste zu kommen. Stattdessen gönnen wir uns das übermütige Vergnügen, auf einem Gummireifen ungebremst durch einen Eiskanal zu rasen.
Geheimes Rezept
Nach einer weiteren Nacht können wir mit Fug und Recht behaupten, eingeschneit zu sein. Um die 70 Zentimeter sind in den zurückliegenden 24 Stunden gefallen. Der winterliche Roadtrip durchs Piemont nimmt eine neue Wendung. Also versuchen wir uns für den Weg zurück ins Tal daran zu erinnern, wie man Schneeketten aufzieht. Doch zu unserer Überraschung ist die Straße geräumt.
So kommen wir einigermaßen ungehindert nach Cherasco, das auf nur 300 Metern liegt und von dem Wintereinbruch nicht viel mitbekommen hat. Wie schön hätte es ausgesehen, wenn die Palazzi, Piazzi und Palmen von einer weißen Haube bedeckt gewesen wären?
Die Haselnuss aus dem Piemont
Nun ja. Streng genommen sind wir wegen etwas anderem in das entzückende Städtchen gekommen – und das ist fast schwarz. Es handelt sich um ein Produkt, das aus der Piemonteser Haselnuss hergestellt wird. Diese ist Kernbestandteil der Baci de Cherasco, einer Praline, die in diesem Fall nicht vom Großkonzern Ferrero, sondern von einem kleinen Betrieb hergestellt wird.
Die Familie Barbero hält seit 1881 die Rezeptur für die »Küsschen« geheim. Das entzückende Ladenlokal ihrer Pasticceria Cioccolateria befindet sich in den Arkaden des Ortes, das über die Grenzen des Piemont hinaus Ruhm genießt. Sogar Königshäuser sollen hier bestellt haben.
Slow Food ruft beim Roadtrip durch Piemont
Noch berühmter indes ist eine kulinarische Institution aus dem Nachbarort Bra: Hier hat Carlo Petrini 1986 den Verband Slow Food gegründet. Damit ist es ihm fast im Alleingang gelungen, einen wirkungsvollen Aufstand gegen global agierende Konzerne zu organisieren, die auch die Italiener von den Vorzügen hastigen Essens, frittierter Produkte und minderwertiger Zutaten überzeugen wollten.
Petrini, der 1949 in Bra geboren wurde und mit Pane, Pasta, Piemont-Kirschen, Haselnüssen und später mit Barolo und Barbaresco aufgewachsen ist, wird dafür weltweit verehrt.
Käse und Vivaldi
Nach einer Stippvisite im Shop des Slow-Food-Verlags – nirgendwo steht geschrieben, dass die Organisation kein Geld verdienen möchte – nehmen wir in der Osteria Boccon Del Vino Platz. Ein eher schlichtes Lokal, das ja, aber an der
Außenwand prangt das charakteristische Logo von Slow Food in Form einer roten Schnecke. Die Küche verwendet regionale und saisonale Zutaten, so wie es seit Petrinis Geniestreich in fast allen ambitionierten Restaurants der Welt der Fall ist. Auch zeigt sie bei der Zubereitung des Dreigangmenüs keinerlei Anzeichen von Eile. Highlight sind die »Tajarin 40 Tuarli al Sugo di Salsiccia di Bra«, eine der Bolognese nicht ganz unähnliche Speise auf Basis sehr eigelbhaltiger Nudeln.
Affineur der Spitzenklasse
Eine gute Vorbereitung auf den Besuch eines Affineurs von internationalem Ruhm. Ebenfalls in Bra betreibt Fiorenzo Giolito einen Käsefachhandel mit jahrhundertealter Tradition. Seine Familie besitzt einen Keller, in dem er von Parmigiano über Grana Padano bis zu Gorgonzola viele Aushängeschilder der italienischen Käsekultur zur vollendeten Reife bringt.
Wie er bei einer Verkostung berichtet, sind ihm dazu auch skurril anmutende Methoden recht: »Ich habe herausgefunden, dass der Käse besser schmeckt, wenn er bei der Beschallung durch klassische Musik reift.« Vivaldi und Konsorten laufen in Endlosschleife.
Endlich Barolo
Fehlt für die formvollendete Einkaufstour nur noch ein Weingut. Da wir uns in Bra befinden, entscheiden wir uns für die Cantina Ascheri. Das Traditionshaus, das für eine große Palette Piemonteser Tropfen bekannt ist, befindet sich mitten im Städtchen und fällt sofort durch sein modernes Hotel auf, das zum Weingut gehört.
Wenn wir ehrlich sind, interessieren wir uns nur für den vollmundigen Barolo, der in der Vinothek zurück bis zum Jahrgang 2013 erhältlich ist – auch in der Magnum-Flasche für schlappe 330 Euro. Doch Cristina Ascheri, die zufällig anwesende Dame des Hauses, überzeugt uns eines Besseren: auch der günstige, nach ihr benannte Arneis ist vorzüglich.
Architektur zum Abschluss
Und der Winter? Der hat sich aus Bra verabschiedet. Wehmütig setzen wir uns am nächsten Tag in Richtung Vicoforte in Bewegung, wo wir die Basilika Regina Montis Regalis besichtigen. Der Barockbau war als Grabstätte des Königshauses der Savoyer vorgesehen und begeistert mit einer elliptischen Kuppel und üppigen Fresken.
Als wir uns dem Ort nähern, erleben wir eine Überraschung: die Straße führt beständig hinauf. Auf 550 Metern ist die weiße Pracht knietief erhalten. Sie verleiht dem Ort ein einmaliges Antlitz. So findet bei einem winterlichen Roadtrip durch das Piemont alles zusammen: Kunst, Geschichte und kulinarische Köstlichkeiten. Mal mit und mal ohne Schnee.
Informationen zum Roadtrip durchs Piemont
Anreise Von Frankfurt am Main sind es mit dem Auto gut 850 Kilometer bis nach Cuneo. Mit der Bahn dauert die Reise etwa 11 Stunden, umsteigen in Basel (Schweiz), Mailand, Turin und Fossano. Mit dem Flugzeug nach Mailand oder Turin und von dort weiter mit dem Mietwagen.
Hotels für den winterlichen Roadtrip durchs Piemont
Limone Palace Gut gelegenes Hotel mit gemütlichen, funktionalen Zimmern im Zentrum von Limone Piemonte. Restaurants und Bars in der Nähe. Piazza Risorgimento 10, Limone Piemonte, limonepalace.com.
Albergo della Ceramica Sympathisches Hotel im Dorf Villanova Mondovì, das zentral im Tal liegt. Im Mittelpunkt steht die Keramikvergangenheit. Angenehm große Zimmer. Via XX Settembre 2, Villanova Mondovì, albergodellaceramica.it
Albergo Cantina Ascheri Modernes Hotel im Zentrum von Bra, das zum gleichnamigen Weingut gehört. Via Piumati 25 Bra, ascherihotel.it
Restaurants im Piemont
Bar Ristorante Baita 2000 Modernes Lokal an der Piste mit Soul Food aus Italien. Limone Piemonte, limoneturismo.it (keine Adresse, da am Berg).
Ski Grill Pratonevoso Gemütliches Restaurant mit offenem Kamin, ambitionierter Küche und großer Weinkarte, vor allem aus Italien. Via Balma 1, Pratonevoso, Facebook.
Osteria Boccon Di Vino Slow-Food-Restaurant im Zentrum von Bra mit köstlichen, einfachen Gerichten. Via Mendicità Istruita 14, Bra, boccondivinoslow.it
Shopping für daheim
Barbero Cioccolato Traditionelle Konfiserie mit prächtigem Ladenlokal und den berühmten Baci di Cherasco als Spezialität. Diese gehören in Italien zu den bekanntesten Pralinen. Via Vittorio Emanuele II 74, Cherasco, barberocioccolato.it
Formaggi Giolito Bekannter Affineur im Gourmetstädtchen Bra mit großer Auswahl an Käse aus Italien. Führungen mit Verkostungen sind möglich.Via Monte Grappa 6, Bra, giolitocheese.it
Cantina Ascheri Dieses Weingut ist für seine Barolos bekannt, doch auch die anderen Weinen lohnen sich. Verkostungen im Laden. Via G. Piumati 25, Bra, matteoascheri.it
Wintersport für den winterlichen Roadtrip durchs Piemont
Limone Piemonte Skigebiet in Italien mit 13 Liften und 80 Kilometern Piste. limoneturismo.it
Prato Nevoso Skigebiet mit 11 Liften und 28 Kilometern Piste. pratonevoso.com
Weitere Attraktionen
Santuario Regina Montis Regalis Die spektakuläre Basilika von Vivoforte ist berühmt für ihre einzigartige elliptische Kuppel, die größte nicht nur in Italien, sondern weltweit. santuariodivicoforte.it
Slow Food Editore Laden der lobenswerten Organisation Slowfood mit dazugehörigem Verlag. Via Audisio 5, Bra, slowfood.com
Text und Fotos: Ralf Johnen, Dezember 2024. Der Autor war auf Einladung von Visit Piemonte in Italien. Auf deren Webseite gibt es sehr viele nützliche Informationen.
2 Comments
Wieder ein sehr guter, eindrucksvoller Bildbericht, durch den man sich direkt in das Piemont versetzen fühlt, mit sehr persönlicher Formulierung, Erweckt sofort starke Reiselust. Grüße, Manni.
Yes! Danke für das schöne Feedback, Manni!