Ein Wochenende in Arnhem ist überraschend vielseitig. Die Modestadt direkt an der deutschen Grenze ist kreativ und jung. Ein Besuch lässt sich perfekt kombinieren mit dem Nationalpark Hoge Veluwe. Neben einem herrlichen Naturschutzgebiet bietet er ein Kulturangebot von Weltrang. Fans von van Gogh und der Klassischen Moderne kommen hier ebenso auf ihre Kosten, wie Architekturanhänger und Skulpturen-Experten.
Kostenlose Leihfahrräder im Nationalpark Hoge Veluwe
Bevor ich die Stadt erkunde, fahre ich mit dem Leihfahrrad in Richtung Nordwesten. Auf den Nationalpark Hoge Veluwe freue ich mich schon seit einiger Zeit. Mit »echter« Wildnis allerdigns rechne ich am Eingangsportal in Hoenderloo nicht. Tatsächlich ist das 55 Quadratkilometer große Areal sorgfältig eingezäunt und eine akkurat gezogene Allee aus Amerikanischen Eichen führt zum Besucherzentrum. Anders als in der Serengeti oder im Yellowstone aber muss ich dort nicht mit dem Geländewagen hinfahren. Praktisch für alle, die mit dem Auto anreisen: An jedem der drei Eingänge stehen Hunderte weißer Fahrräder parat. Kostenlos nutzbar und ohne Schloss.
Ich entscheide mich für einen kleinen Rundkurs durch die Natur. Gut 40 Kilometer autofreier Radwege führen durch den Park. Erst durch einen Mischwald, der bald einer Heidelandschaft weicht. Der Boden wird nun von Pfeifengras bedeckt, nur gelegentlich baut sich am Horizont eine knorrige Kiefer auf, die hier ausreichend Platz genießt, um ihre Zweige in sicherem Abstand zum Stamm auf dem Boden abzulegen. Langsam erinnert die Szenerie tatsächlich ein wenig an – Afrika.
Riesige Sandflächen im Nationalpark Hoge Veluwe
Plötzlich sehe ich immer mehr kleine Gewässer, die das Land in schneller Abfolge durchziehen. Ein sicherer Indikator sind die weißen Farbtupfer des Schmalblättrigen Wollgrases, die an den Ufern das Grau des heutigen Tages durchbrechen.
Auf dem Stamm einer abgestorbenen Kiefer lege ich eine Pause ein. Der Baum erweckt den Eindruck, als wäre er von einer Windhose oder anderen Kräften hier abgelegt worden, denn er befindet sich inmitten einer Sandfläche, die so groß ist wie ein paar Dutzend Fußballfelder. Der Land Rover von Parkranger Henk Ruseler könnte, je nach Blickwinkel, auch in der Wüste stehen.
Henk ist einer von nur zwei Menschen, die innerhalb der Grenzen des Nationalparks wohnen. »So viele unterschiedliche Landschaften auf so engem Raum«, sagt er, »das ist schon etwas Besonderes«. Bis zu 20 Meter hoch sind die Wanderdünen in der Hoge Veluwe. Hier, im Dreieck zwischen den Städten Apeldoorn, Amersfoort und Arnhem leben korsische Wildschafe, Hirsche, Wildschweine und jede Menge Raubvögel. Fast alle können an Wildständen mit Hilfe von Ferngläsern beobachtet werden, am besten am frühen Abend.
Wochenende in Arnhem: Coole Restaurants und ein schönes Hotel
Hotels oder Herbergen gibt es im Park nicht, wohl aber könnte ich zelten. Also fahre ich am späten Nachmittag zurück nach Arnhem. Eine Stadt, die ich nicht sonderlich gut kenne, obwohl ich bei fast all meinen Bahnreisen in die Niederlande hindurchgefahren bin. Hunderte Male. Mit dem Fahrrad sind es rund 20 Kilometer bis in die Stadt, die sich wie meine Heimat Köln am Rhein zu liegen rühmt. Diese Behauptung aber führt leicht in die Irre, denn der Fluss hat hier bereits große Teile seiner Wassermassen an den Seitenarm Waal verloren.
Der Strom also mag hier schmal erscheinen, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass sich nördlich des Ufers eine überraschend quirlige Stadt entfaltet.
Arnhem ist Heimat einer Kunsthochschule für Mode und Design, was sich im Stadtbild im Form vieler kreativer Boutiquen und maßvoll hippen Bewohnern niederschlägt.
Besonderen Spaß macht das Modekwartier rund um den Klaredalseweg im Nordosten der Stadt. Neben Boutiquen wartet hier auch eine fotogene Windmühle.
Am Abend entdecke ich im Spijkerkwartier das Restaurant Thialf, wo die lokale Hipster-Elite angesagte Speisen mit IPA herunterspält. Ebenfalls nett: das Restaurant Arneym.
Für den Aufenthalt in Arnhem empfehle ich das Hotel Modez. Das Haus greift das hippe Flair der Kreativstadt mit individuell von Designern eingerichteten Zimmern kunstvoll auf.
Tag 2 des Wochenendes in Arnhem
Am nächsten Tag fahre ich zurück in den Nationalpark. Heute steht hier Kultur auf dem Programm, was für ein Naturschutzgebiet doch eher ungewöhnlich ist.
Familie Kröller-Müller: Reicher als das Königshaus
Im Jagdhaus der Familie Kröller-Müller aber erfahre ich, was es damit auf sich hat. Das gesamte Areal des heutigen Nationalparks wurde im frühen 20. Jahrhundert vom Unternehmerpaar Anton Kröller und Helene Kröller-Müller aufgekauft und später gestiftet.
Sie war die Tochter eines deutschen Stahlproduzenten, die sich fast schon fanatisch für zeitgenössische Kunst interessierte. Er entstammte einer Reedereifamilie aus Rotterdam. Gemeinsam waren beide vorübergehend reicher als das niederländische Königshaus.
Ihre Geschichte bietet Stoff für Romane, doch um es kurz machen, ist der Nationalpark Hoge Veluwe wie er heute existiert, ihr gemeinsamer Verdienst. Die Hochkultur der Moderne hat hier auf fast natürliche Weise Einzug erhalten. So haben die Kröller-Müllers für den Bau des Jagdhauses St. Hubertus den niederländischen Stararchitekten Hendrik Petrus Berlage engagiert.
Zudem hat Helene eine der weltweit bedeutendsten Kunstsammlungen der Epoche zusammengekauft. Beides habe ich mir heute anzusehen vorgenommen.
Das Jagdhaus St. Hubertus auf der Hoge Veluwe
Wieder schnappe ich mir eines der 1800 kostenlosen Fahrräder, um zunächst an einer Führung durch das Berlage-Haus teilzunehmen. Erst als ich mich dem Bau nähere, schwant mir: das hier dürfte zu den spektakulärsten Bauten gehören, die ich je gesehen habe. Ein Backsteinhaus an einem See mit zwei symmetrischen Flügeln, die von einem trutzigen Turm überragt werden. Wes Anderson könnte sich für seinen nächsten Film kein geeigneteres Setting ausmalen.
Die Inneneinrichtung zeugt von Pioniergeist, erlesenem Geschmack – und einem ungeheurem Vermögen. Ähnlich und doch anders als der große Frank Lloyd Wright, hat sich Berlage den Prinzipien der organischen Architektur verschrieben, fast all seine Materialien aus der Umgebung bezogen, rohe Stahlträger integriert und bis zum letzten Möbelstück alles selbst entworfen. Ja, er gehorcht den Prinzipien der Neuen Sachlichkeit, aber das Haus ist auch auf abgefahrene Weise versponnen.
Die zweitgrößte Van-Gogh-Sammlung der Welt
Während eines Spaziergangs um den See erneuere ich meine Aufnahmefähigkeit, so dass ich nach dem Velo-Transfer hellwach am Kröller-Müller-Museum ankomme. Die Worte von Parkranger Henk habe ich nicht vergessen: »Es ist ein Witz, dass Tausende Menschen sich stundenlang vor dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam anstellen. Da hängen nur die Leftovers.« Alles andere habe Helene Kröller-Müller gekauft.
Nachdem eine Schulklasse lärmend abgezogen ist, stehe ich de facto fast alleine im Museum. Auf bemerkenswerte Weise gehorcht dieses ebenfalls den Prinzipien der modernen Architektur, denn es kommt ausschließlich mit Naturlicht aus. Ich frage mich kurz, was das wohl im Winter für einen Effekt haben mag – danach stürze ich mich auf die Werke des tragischen Genies. Erst das düstere Frühwerk, dann die enthusiastische Phase in der Provence. Schließlich entdecke ich einen alten Favoriten, die »Caféterrasse bei Nacht«. Das Bild habe ich 2009 schon einmal im Van-Gogh-Museum gesehen – als Leihgabe.
Den Skulpturenpark, der sich hinter dem Museum ausbreitet, schaffe ich nicht mehr. Das Haus schließt wie fast überall in den Niederlanden um 17 Uhr. Eine merkwürdige Uhrzeit. Versonnen drehe ich noch eine Runde auf dem Rad. Dabei frage ich mich, wie ich diesen zauberhaften Ort bisher ignorieren konnte.
Infos zum Wochenende in Arnhem und der Hoge Veluwe
Die Region Arnhem und der Nationalpark sind vom Ruhrgebiet mit dem Auto bequem in anderthalb Stunden erreichbar. Wer in Arnhem ein Rad mietet, kann auch den ICE von Köln, Düsseldorf, Duisburg oder Oberhausen nehmen (Fahrtzeit zwischen 45 und 100 Minuten).
Zum Radfahren in der Hoge Veluwe ist der Nationalpark täglich geöffnet, am längsten in den Monaten Juni und Juli (8 bis 22 Uhr). Der Eintritt kostet 9,15 Euro (4,60 Euro ermäßigt), für ein Auto kommen 6,50 Euro hinzu. Die 1800 weißen Fahrräder dürfen umsonst benutzt werden.
Wer beim Radfahren in der Hoge Veluwe das Kröller-Müller-Museum besuchen möchte, kann dies tgl. außer montags von 10 bis 17 Uhr. Dies geht nur in Kombination mit einer Tageskarte für den Park, was in der Summe 18,30/9,20 Euro kostet.
Führungen durch das Jagdhaus St. Hubertus werden regelmäßig angeboten (45 Minuten, 4 Euro).
Text & Bilder zur Geschichte »Ein Wochenende in Arnhem«: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im Mai 2021. Die Geschichte ist in Kooperation mit dem Niederländischen Büro für Tourismus & Convention (NBTC) entstanden und ist Teil der Kampagne #lekkerradeln.
3 Comments
Wirklich wunderschön
Ich LIEBE dieses Museum. Wunderschöne Kunst ohne Gedrängel. Und der Skulpturengarten ist traumhaft und riesen groß. Man muss wirklich viel Zeit (und gute Schuhe) mitbringen.
Schöner Artikel, erinnert mich daran unbedingt mal wieder hinzufahren.
LG Simone
Ja, Simone. Es gibt immer wieder sehr überraschende Orte in diesem kleinen Land. Bin gespannt, was als nächstes auf mich wartet. Groetjes, RJO