Ernest Hemingway hat Key West für sich entdeckt, bevor die Touristen kamen oder es Elektrizität und fließend Wasser gab. Bis heute ist der Endpunkt der Florida Keys herrlich. Allerdings muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein – und einiges an Geld mitbringen.
Ich war schon an mehreren Orten, wo er auch war. Einige habe ich sogar wegen ihm aufgesucht. Das »Café Iruña« in Pamplona zum Beispiel. Stresa am Lago Maggiore. Oder das »La Coupole« in Paris. Insofern war es in meiner inneren Wahrnehmung nur eine Frage der Zeit, bis ich die Wirkungsstätten von Ernest Hemingway in Key West aufsuchen würde.
Hemingway in Key West: Vorsprung auf die Tourismusindustrie
Hier hat Hemingway von 1928 bis 1939 Teile seines Lebens verbracht. Ganz in der Nähe von Kuba, in einem bis dahin weitgehend unbeachteten Flecken Amerikas. Damit wären wir auch direkt im Thema: Ich schätze Hemingway nicht wegen der Mythen, die ihm vorauseilen. Doch vor allem seine frühen Texte und die Figurenzeichnung seiner Romanhelden sind bis heute sehr modern. Außerdem besaß er ein untrügliches Gespür dafür, die schönsten Orte der Welt für sich zu entdecken, lange bevor die Tourismusindustrie sie für immer verändert.
Wie das bei »Papa« so war, hat er wenig Zeit verstreichen lassen, um auch hier an der Zementierung seines eigenen Mythos zu arbeiten. Als kraftvoller Hochseefischer, als trinkfestes Raubein oder als Draufgänger in jeder Lebenssituation. Und, was die Öffentlichkeit stets vergisst: als ziemlich einfühlsamer Chronist zwischenmenschlicher Beziehungen.
Stattliche Villa ohne fließend Wasser
Auch in Sachen Key West hatte Hemingway das richtige Näschen. Es war ein anderes Key West. Der junge Schriftsteller hatte mit »The Sun Also Rises« gerade seinen Durchbruch gefeiert, als er sich mit 29 Jahren eine stattliche Villa auf der Insel im Süden Floridas zugelegt hat. Auf Key West gab es damals weder fließendes Wasser noch Strom – und schon gar keinen Overseas Highway, der heute tagtäglich den Blechlawinen aus Richtung Miami die Zufahrt gestattet.
Allerdings hatte sich Bahnmagnat Henry M. Flagler bereits in den Kopf gesetzt, die Insel durch eine abenteuerlich komplexe Kette von Brücken ans Festland anzubinden. Hemingway konnte sich wie ein König fühlen auf Key West. Er war 1937 der Erste, der seine Gäste in einen Pool bitten konnte. Diese waren dem Vernehmen nach ziemlich begeistert, wenn sie im Salzwasser mit einem Glas Schampus in der Hand den ungestörten Blick auf den Sternenhimmel genießen und dazu den Anekdoten des künftigen Nobelpreisträgers lauschen konnten.
Hotel mit Holzveranda
Ich selbst bin nach meiner Ankunft auf Key West ein bisschen unsicher. Ich habe den mythischen Ort erreicht, aber ich frage mich, ob er mich für sich wird gewinnen können. Es ist schwül an diesem Mittag im Januar. Das passt gut zu dem Hotel, in dem ich einchecke: Das »Cypress House« ist wurde 1888 errichtet. Mit Holzveranda, steilen Treppen, Ventilatoren und einem Mini-Pool. Eine herrliche Adresse für einen Tag in Key West, im »alten« Key West.
Draußen in den Straßen sehe ich ein paar Lagerhallen aus Backstein, die aus der Zeit stammen, als die Menschen ihren Lebensunterhalt hier noch mit anderen Aktivitäten verdient haben, als Touristen zu bespaßen. Nach wenigen Metern stehe ich auf der Duval Street, die der Lonely Planet als »schön und schrecklich zugleich« beschreibt. Ich sehe wunderbare Villen aus der Gründerzeit der Karibikbesiedlung – und ziemlich viele schlecht gekleidete Menschen, die in Plastikbechern ihre Drinks durch die Gegend tragen.
Hemingway in Key West: Die Nachfahren der Katzen leben noch
Einen Besuch bei Sloppy Joe’s hebe ich mir für später auf. Hemingway wird ja wohl nicht schon mittags in seiner Stammkneipe abgehangen haben. Als ich weiter in Richtung Hafen schreite, entdecke ich den stetigen Quell der schlecht gekleideten Menschen: zwei Kreuzfahrtschiffe, die wuchtigsten, größten und höchsten Bauwerke, die mir auf der Insel begegnen werden.
Ich beschließe das Zentrum zu verlassen. Auf Whitehead Street laufe ich Richtung Südosten bis zu Hausnummer 907: The Ernest Hemingway House. Auch hier sind die rumorigen Kreuzfahrer in großen Stückzahlen anwesend. Das Haus aber entfaltet trotzdem seine Wirkung. Im Garten steht als gelungene Metapher ein Baum der Reisenden. Und der Pool sieht tatsächlich so aus, als könnte man gemeinsam mit Geistesverwandten dort gemütlich seine Zeit verbringen.
Nichts fürs Jelinek-Feuilleton
Überall auf dem Anwesen stolzieren Katzen umher. Angeblich sind es die direkten Nachfahren von Papas Vierbeinern. Als Indiz dient eine anatomische Abnormität, die schon Hemingways Katzen zu einer Besonderheit gemacht hatten: Sechs Zehen an beiden Pfoten.
Vor dem originaleingerichteten Arbeitszimmer merke ich, wie ich mich dem Sinnieren hingebe. Hemingway war relevant. Er konnte sich vermarkten. Hemingway war stets realistisch, manchmal brutal und oft hoffnungslos romantisch. Er hat Mythen aufgespürt und ausgereizt. Und war oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Kurzum: Er hat sehr vieles richtig und sehr gut gemacht. Können die Jelinek-Freunde in den Feuilletons noch sehr über ihn lästern.
Mogelpackung am Southernmost Point
Mit Gedanken dieser Art verlasse ich die Villa von Hemingway in Key West. Am Ende der Whitehead Street nehmen die Turbulenzen wieder zu. Grund ist ein kleines Monument, das auf den »southernmost point of the USA« hinweist. Eine Mogelpackung streng genommen, denn für jeden Besucher ist deutlich zu sehen, dass die angrenzende Militärbasis noch weiter im Süden liegt. Lohnend ist der Weg bis hierhin dennoch.
Weil sich hier ein Gewitter typisch amerikanischer Superlative entlädt – vom »southernmost hotel« bis zum »southernmost supermarket«. »Hilarious«, bleibt mir nur festzustellen. Während ich mir den Wettkampf der Selfie-Stangen ansehe, gehen mir die Worte von Rob durch den Kopf, dem schlaksigen Typ von der Hotelrezeption. Durch Zufall, sagte er, sei er einst auf Key West gelandet. Doch es ist schnell klar, dass er wenig Lust auf ein Leben im hektischen Kontinentalamerika hatte.
Kenner sagen: Kommt im Sommer nach Key West
Mir rät er, noch einmal im Sommer wiederzukehren. »Dann kriegst du das echte Tropengefühl mit. Es ist leerer hier. Und billiger.« Ich denke, er hat Recht. Zwar ist es schön hier im Januar bei 27 Grad über die Insel zu laufen. Aber antizyklisches Reisen hat so viele Vorteile. Vielleicht sogar in der Hurrikan-Saison, die von August bis Dezember dauern kann.
Auch jetzt im Januar aber ist es an der Südküste deutlich ruhiger als im Zentrum. Hier befinden sich Pier, Park und Strände – auch wenn kaum jemand zum Baden nach Key West kommt. Im Innern der Inseln dann breiten sich ein paar Blocks aus, wo ich mich plötzlich an einem ganz normalen Ort und nicht inmitten einer monatelang andauernden »tourist frenzy« mit Maximalbeteiligung befinde.
Paradierende Hähne
Sehr unamerikanisch: Überall paradieren Hähne, ohne dass die Bevölkerung Angst vor der Vogelgrippe hätte. Die Viecher, lerne ich später, sind vor Generationen an Bord eines Schiffes gestrandet, um sich rasant zu vermehren. Wie alle anderen Vögel stehen sie auf Key West unter Schutz, weshalb sie sich dem ansonsten vorherrschenden Trend zu aseptischen urbanen Lebensräumen entziehen können.
Ich genieße die Minuten im Innern der Insel. Hier konnten sich sogar einige Ruinen und ein Fachgeschäft für Autoreifen halten. Zurück am Hafen konstatiere ich mit Genugtuung, dass die Kreuzfahrer das Szenario verlassen haben für heute. Dadurch verläuft es sich ein bisschen. Die Menschen füttern Tarpune und futtern frittierte Fechterschnecken (»conch«). Wir alle schließlich befinden uns in der Hauptstadt der »conch republic«.
Die Conch Republic: Illegaler Zwergstaat
Zu diesem illegalen Zwergstaat hatten sich Key West und einige Nachbarinseln ausgerufen, als die Festland-Amis 1982 den Overseas Highway mit einer Patrouille-Station versehen hatten, um die vermeintlichen Drogennester ausbluten zu lassen. Der semisatirische Akt sorgte seinerzeit für einige Irritationen in Washington. Letztlich aber hat er das Selbstbild der Insulaner zementiert, etwas Besonderes zu sein. Die Flagge wird noch heute gerne gehisst. Und seit 2010 existiert sogar ein Generalkonsulat für Deutschland in Bingen am Rhein.
Als ich mich an den Gedanken gewöhne, einen Sundowner vertragen zu können, bricht wie auf Kommando die Dunkelheit über Key West hinein. Die Feuerspucker, Messerschlucker und Schlangenbeschwörer, die sich während des Sonnenuntergangs auf dem nahen Mallory Square einfinden, müssen ohne mich auskommen.
Margaritas im Green Parrot
Ich trinke lieber eine Frozen Margharita im Green Parrot. Wie ich erst im Laufe des Abends feststelle, ist der Laden mit einigem Abstand die beste Bar der Insel. Hier hängen die Locals ab – und wie ich Papa kenne, wäre das heute wohl auch für ihn der einzige Ort, der für ein stattliches Besäufnis in Frage käme.
Als ich mich nach zwei (oder drei?) Drinks spürbar ermattet über die Duval Street kämpfe, um doch noch bei »Sloppy Joe’s« einzukehren, will es so gar nicht funken. Jeder Ansatz einer karibischen Atmosphäre (dunkle Holztäfelung, Ventilatoren, offene Fensterfronten) wird von dem Getöse einer betagten Post-Grunge-Band im Keim getötet. Außerdem kommen die Drinks in Plastikbechern. Ich flüchte zu Key West Island Books, um nach erhellenden Details über Hemingway in Key West zu suchen, aber nur die üblichen Biographien zu finden.
IPA aus dem Plastikbecher
Als ich wieder rauskomme, ist es fast ruhig, der Ort wirkt fast dörflich im Dunkeln. Ich kaufe mir ein IPA auf Duval Street, lasse es in einen Plastikbecher umfüllen (das ist erlaubt hier!) und schlendere durch die Seitenstraßen und ihre üppige tropische Vegetation. So ist Key West herrlich. Und bevor ich ins Bett falle, beschließe ich, in nicht allzu ferner Zukunft zurückzukehren.
Am nächsten Morgen lausche ich beim Frühstück den Eishockey-Fachsimpeleien der kanadischen »snow birds«. Um Punkt 9 Uhr stehe ich vor der Tür des Little White House, das sich am Westende in einer Art »gated community« befindet.
Das Little White House auf Key West: Geschichtsträchtiger Ort
Bei genauerem Hinsehen verbirgt sich dahinter eine ehemalige Marinebasis, deren Versteigerung im Jahr 1986 einer der lohnenswerteren Immobilien-Deals des 20. Jh. gewesen sein dürfte: 17 Millionen Dollar hat ein Investor seinerzeit für das Areal in bester Lage gezahlt, auf dem heute rund 300 Wohneinheiten stehen, die alle für sich gesehen Millionen kosten dürften.
Gut vier Jahrzehnte zuvor hat Präsident Harry S. Truman dem Anwesen zu einiger Bekanntheit verholfen, als er zwischen 1946-52 insgesamt 175 Tage seiner Präsidentschaft hier verbracht hat. Vor allem am Anfang waren es Tage der Erholung für den gesundheitlich angeschlagenen Staatschef, der nach der Übernahme der Amtsgeschäfte von F. D. Roosevelt die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zu verantworten hatte.
Truman the Human?
Bald jedoch wusste sich der Demokrat an den Rhythmus der Insel anzupassen. Inklusive der passenden Freizeitkleidung und einer Passion für das Fischen – was ihm auf den Keys bis heute viele Sympathien zuträgt: In merkwürdiger Verkehrung der historischen Tatsachen gilt er hier als Truman the human. In dem keineswegs übertrieben pompösen Haus sind einige Räume so erhalten, wie sie auch Truman erlebt hat, darunter der Salon mit Piano und Heimkino sowie der Raum mit dem Pokertisch.
Hemingway hatte die Insel damals schon lange wieder verlassen. Er ist weiter gezogen nach Kuba. Wie immer zum richtigen Zeitpunkt – bevor Castro seine Landsleute massiv zur Flucht nach Miami getrieben hat. Das wird eine der nächsten Geschichte, die an dieser Stelle erscheinen – und später auch in dem Buch, wegen dem ich in Florida gewesen bin.
Informationen Hemingway in Key West
Key West ist per Auto von Miami in vier bis sechs Stunden erreichbar. Wer unbedingt will, kann auch mit dem Flieger anreisen, die Insel hat einen kleinen Flughafen. Von Naples und Fort Myers fahren Schnellboote nach Key West.
Das Cypress House Hotel hat mir prächtig gefallen. Es gehört zu den Historic Key West Inns. Die Häuser sind durch die Bank großartig: Holzvillen mit Veranda und viel Charme. Bezahlbar sind sie mit Preisen ab 150 Dollar vor allem in den heißen tropischen Sommermonaten.
Gute Drinks gibt es im Green Parrot (601 Whitehead Street). Unbedingt ansehen sollte man sich das Ernest Hemingway Home (907 Whitehead Street) und das Little White House (111 Front Street). Die besten Drinks gibt es im Green Parrot (601 Whitehead Street) – oder eben in den kioskartigen Straßenverkäufen. Mit einem kühlen Bier auf einer amerikanischen Straße war ich bislang nur in Savannah unterwegs.
Text und Bilder: Ralf Johnen, zuletzt aktualisiert im August 2022.
Die Reise wurde von Visit Florida und The Florida Keys & Key West unterstützt.
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