Bunte viktorianische Villen, tropische Vegetation und eine lange Geschichte machen Esplanade Avenue zur schönsten Straße von New Orleans. Ein ausführlicher Spaziergang ist zugleich ein Vorzeigeargument für Slow Tourism.
Nichts gegen das French Quarter. Die farbenfrohen Häuser mit den gusseisernen Balkonen. Prächtig sind sie, ebenso wie die letzten Jazzclubs, die es bis in die Gegenwart geschafft haben. Oder die Keramikfliesen, welche die wohlklingen Straßennamen annoncieren.
Esplanade Avenue: Schöner und echter als das French Quarter
Die herrlichen Geschäfte wie Faulkner House Books, deren Inhaberin jede Zeile jedes Buches, das sie verkauft, gelesen zu haben scheint. Die melancholischen Streetcars, deren Schienen das bekannteste Viertel von New Orleans hier und da touchieren, so wie der Mississippi das mit seinem bräunlichen Wasser auch macht.
All das ist wäre perfekt, erst recht für eine amerikanische Stadt, würde die größte Stadt von Louisiana für ihre Vorzüge nicht zu Tode geliebt. Eine Liebe, die darin resultiert, dass Horden notdürftig bekleideter Menschen sich schon am Mittag mit Plastikbechern bewaffnen, in denen sie Alkohol durch die Gegend tragen.
Jenseits der unglücklichen Melange aus Grunge und Rock
Von überall her scheinen sie zu kommen, um in einer Stadt, die für ultimativ lebensbejahende Musik steht, den viel zu lauten Darbietungen eines Stils beizuwohnen, der am ehesten als unglückliche Melange aus Hard Rock und Grunge durchgeht.
Dinge eben, die der Massentourismus mit den schönsten Vierteln unserer Städte machen kann. Oder ist es nur ein schwerer Fall von Zivilisationsmüdigkeit, der die Realität anders scheinen lässt, als sie wirklich ist?
Mit der Streetcar zur Endstation City Park
Wie dem auch sei hat New Orleans Antworten, die dabei helfen, den Blues zu überwinden. Man setze sich einfach in die Canal Street Line (Streetcar 48) und fahre bis zur Endstation am Museum of Art. Diese liegt am Südende von City Park, einer großzügig bemessenen Naherholungsfläche voller Virginia-Eichen, die ihr Geflecht von Ästen auf dem Boden ablegen, als wären sie davon ermattet, die Last der Geschichte der gesamten Südstaaten tragen zu müssen.
City Park jedoch würdigen wir nur eines kurzen Blickes, um den Bayou St. John zu überqueren, eine Art Kanal, hinter dem die Esplanade Avenue beginnt. Die schönste Straße von New Orleans ist gut 2,5 Meilen lang – und sie verkörpert alles, was die Metropole von Louisiana so einzigartig macht.
Schön morbide: Cemetery St. Louis 3
Schon nach ein paar Metern stoßen wir auf St. Louis Cemetery Nr. 3. Es ist eine dieser letzten Ruhestätten in New Orleans, die leicht erhöht liegen, schließlich weiß man nie, welchen Launen der Mississippi hat. In langen Gängen reihen sich hier stattliche Mausoleen aneinander.
Viele waren mal weiß, haben aber Patina angelegt. Sie verkörpern einen geheimnisvollen Katholizismus und in gewisser Weise auch das Übersinnliche, mit dem New Orleans nicht nur im French Quarter flirtet.
Esplanade Avenue: ein lückenloses Dach aus Virginia-Eichen
Zurück auf Esplanade Avenue, erfreue ich mich wieder an Virginia-Eichen, oder American Live Oak, wie sie in den USA sagen. Hier bilden die Bäume ein fast lückenloses Dach, unter dem auf abgetrennten Streifen auch viele Fahrräder unterwegs sind.
Neben dem Bürgersteig, der von den Wurzeln der Eichen arg aufgewellt ist, stehen verwinkelte, bunte Holzhäuser, die an Key West erinnern. Bald aber werden die Villen an der Esplanade größer. Es sind neoklassizistische Paläste mit stattlichen Säulen und prahlerischen Veranden, die wir verträumt begutachten. Darum also lieben die Menschen New Orleans so.
Das Museum of Free People of Color
An einer dieser Villen an der schönsten Straße von New Orleans halten wir an. Sie trägt Hausnummer 2336 und beherbergt Le Musée de f.p.c., auf Englisch: Museum of Free People of Color. Das Haus ist der Historie einer Gruppe farbiger Menschen gewidmet, die im frühen 19. Jahrhundert das Privileg hatten, in Louisiana nicht als Sklaven, sondern mehr oder weniger in Freiheit zu leben.
In New Orleans haben die Free People of Color vor dem amerikanischen Bürgerkrieg einen Anteil von 20 Prozent der Stadtbevölkerung ausgemacht. Dies ging vor allem auf den Umstand zurück, dass Louisiana lange unter der Ägide Spaniens und später Frankreichs stand. Bei Nationen hatten es Sklaven gestattet, sich ihre Freiheit zu erkaufen.
Der Tignon als Erkennungszeichen
Vor gut 200 Jahren waren es zu einem guten Teil Free People of Color, die in den Häusern an Esplanade Avenue gelebt haben. Ihr Vermächtnis in einer sich rasch wandelnden Stadt lebendig zu halten, war das Ziel von Beverly Stanton McKenna und Dwight McKenna.
Das Ehepaar hat das Museum 2008 eröffnet, um in üppig ausstaffiert Salons eine einzigartige Sammlung von Dokumenten und anderen Exponaten zu zeigen. Dazu gehört unter anderem eine ganze Gemäldegalerie, die Frauen mit einer ungewöhnlichen und vielleicht auch befremdlichen Kopfbedeckung zeigen. Es handelt sich um sogenannte Tignons, die freie, dunkelhäutige Frauen seit 1786 tragen mussten, um ihren minderwertigen Status sichtbar zu machen.
Die schönste Straße von New Orleans führt quer durch Tremé
Wie Beverly Stanton McKenna erläutert, sind die Tignons heute in bestimmten Kreisen ein politisch aufgeladenes Kleidungsstück. Unter anderem Kuratorin Kim Coleman trägt das Wickeltuch. »Aus Stolz und als identitätsbildende Maßnahme«, wie die 32-Jährige sagt.
Esplanade Avenue zieht sich einmal quer durch das Viertel Tremé-Lafitte. Noch 2008, als Hurrikan Katrina New Orleans so schwer beschädigt hat, lebten hier rund 92 Prozent Farbige, heute sind es nur noch 64 Prozent. Die Gentrifizierung und die Umschichtung der Städte verfehlen auch hier ihre Wirkung nicht. Sie gehören scheinbar ebenso unumgänglich zur Gegenwart wie die Plastikbecher mit Cocktails.
Esplanade Avenue: Wo Alex Chilton gewohnt hat
Dies aber ändert nichts daran, dass auch das Haus unmittelbar neben dem Museum of Free People of Color ein geschichtsträchtiges Anwesen steht. Wie die Stadt New Orleans auf ihrer Homepage ausweist, hat auf dem Grundstück 2326 Esplanade Avenue einer der zugleich einflussreichsten und unterschätztesten Musiker des 20. Jahrhundert gewohnt: Alex Chilton.
Chilton war im Alter von 16 Jahren Leadsänger von The Box Tops, die 1967 mit »The Letter« in vielen Ländern die Charts angeführt haben. Bald darauf gründete er gemeinsam mit Chris Bell Big Star. Die Band nahm nur drei Alben auf, legte aber damit die Basis für den amerikanischen College Rock der 80er Jahre. Später gefiel sich Chilton in der Rolle des schwer ergründlichen Genies, der es als Solo-Künstler vorzog, sein Publikum zu verstören.
Keine Gedenktafel für »A Man called Destruction«
Auch als Privatperson ließ Alex Chilton wenig aus. Von ihm, der wie Elvis Presley in Memphis geboren wurde, ist der legendär gewordene Absicht überliefert, nach New Orleans in Louisiana zu ziehen, um trocken zu werden und clean zu leben.
Trotz gewisser selbstzerstörerischer Tendenzen lebte Chilton vorübergehend in Esplanade Avenue, allerdings nicht in der pompösen Villa, die heute von allerlei Tierfiguren entstellt ist, sondern in einer kleinen Hütte irgendwo im Garten. Eine Tafel, die an das 2010 an den Folgen eines Herzinfarkts gestorbenen Genies erinnert, suchen wir vergeblich.
Das Wohnhaus von Edgar Degas auf Esplanade Avenue
Eine solche Tafel steht derweil sehr wohl zwei Häuser weiter vor Nummer 2306. Ein Haus, das auch als Musson Home bekannt ist. Hier lebte von 1872 bis 1873 ein gewisser Edgar Germain Hilaire Degas, den die Tafel als französischen Impressionisten ausweist, der in der schönsten Straße von New Orleans eine sehr produktive Phase durchgemacht habe.
Dies ist jedoch nur eingeschränkt der Fall. Zwar hat Degas während seiner insgesamt fünf Monate in Louisiana einige bemerkenswerte Arbeiten angefertigt. Doch aus unbekannten Gründen hat er weitgehend darauf verzichtet, die Bevölkerungsstruktur seiner Umgebung adäquat wiederzugeben. Das vielleicht bekannteste Bild aus der Periode, Le Bureau de coton à La Nouvelle-Orléans, zeigt ein Büro, das ausschließlich von Weißen bevölkert ist. Das Haus, wo das Bild entstanden ist, fungiert heute als Bed & Breakfast.
Ein türkisblauer Cadillac
Nach so vielen Anekdoten freuen wir uns, ein paar Schritte machen zu können, ohne auf etwas zu stoßen, das erwähnenswert wäre. Dann erblicken wir unter einer Virginia-Eiche einen türkisblauen Cadillac aus den 1950er Jahren mit rostiger Stoßstange. Als wären wir in Havanna und nicht in New Orleans. »Nice, isn’t it?«, fragt ein Mann, als wir uns zaghaft daran machen, das Fahrzeug zu fotografieren.
Er stellt sich als Andres De La Puente vor und erzählt, dass er vor zwölf Jahren aus Kuba gekommen ist, um in New Orleans sein Glück zu versuchen.
Ein Mann aus Havanna auf der schönsten Straße von New Orleans
Seitdem betreibt er in einem Haus mit bügeleisenförmigem Grundriss den Coffee Shop The Flagpole. Auch vermietet er ein paar Zimmer. »Als nächstes möchte ich diesen Wagen aufmöbeln und dann Touren darin anbieten.«
Da wären wir dabei, entgegnen wir, um noch eine Viertelstunde mit Andres weiter zu plaudern. Über Esplanade, aber auch über Havanna.
Kunststudenten und ihre Staffeleien
Langsam nähern wir uns nun dem Interstate 10, der auf Betonstelzen aufgebockt ist und der Tremé brachial durchschneidet. Mit gebührendem Abstand zu der monströsen Verkehrsarterie gewinnt Esplanade wieder an Charme. Die Avenue besitzt nun sogar einen grünen Mittelstreifen, den Fußgänger dankbar annehmen. Auch haben hier ein paar Kunststudenten ihre Staffeleien ausgepackt.
Am Straßenrand laben sich Einheimische in Lil Dizzy’s Café an reichhaltiger Südstaatenküche: Gumbo, Po-Boys und Fried Chicken. Ein paar Schritte weiter hat das Port of Call die Happy Hour eingeläutet. Die Häuser hier sind ebenso farbenfroh wie am Nordwestende von Esplanade.
Subtropische Vegetation
Auch die Vegetation an diesem herrlichen Flecken USA ist weiterhin opulent subtropisch. Doch es häufen sich die Schilder, die auf Bed & Breakfasts hinweisen.
Als wie aus dem Nichts eine mit kitschigem Schmuck dekorierte Pferdekutsche die Straße quert, wird unwiderruflich klar: Das French Quarter ist nicht mehr weit. Dagegen wiegesagt ist nichts einzuwenden. Doch mit der stillen Südstaatenpoesie von Esplanade Avenue kann das Viertel nicht mithalten.
Einige Adressen auf Esplanade Avenue
St. Louis Cemetery Nr. 3, 3421 Esplanade Avenue.
Le Musée de f.p.c, 2336 Esplanade Avenue.
Alex Chiltons Wohnhaus, 2326 Esplanade Avenue.
2306 Esplanade Avenue, Edgar Degas Historic Home & Museum, das Haus fungiert zugleich als Bed & Breakfast.
The Flagpole NOLA, 2032 Esplanade Avenue.
New Orleans Museum of Jazz, 400 Esplanade Avenue.
Weitere Informationen über New Orleans und Louisiana
Schau auf die Webseite des Tourismusbüros von New Orleans und auf die Homepage von Louisiana
Text und Bilder: Ralf Johnen im Januar 2023. Der Autor war kürzlich auf Einladung des Tourismusbüros in New Orleans.
2 Comments
..wieder ein begeisternder Bildbericht, der mir dieses riesengroße Land noch näher gebracht hat, danke, weiter so ! Manni
So soll es sein. Vielen Dank!