Die Golden Route ist die klassische Strecke, auf der Touristen mit dem Zug durch Japan fahren. Unter dem Motto hektisch, heiß und heilig lernen sie die Highlights der Hauptinsel Honshū kennen. Von Tokio nach Osaka mit interessanten Tier- und Naturerlebnissen zwischendurch.
Es ist was los in Amerikamura. „Ame-mura“ wie die Leute das Hipsterviertel Osakas auch abkürzen, ist bekannt für Street-Art und Second-Hand-Läden. Klamotten und Schallplatten kann man hier kaufen.
Und hinter einer Schaufensterscheibe tritt gerade eine Boyband mit zackigen Frisuren auf. Schon bevor Gesang und Klänge über Lautsprecher nach außen schallen, warten Mädchen in Miniröcken, die Handys mit Händen fest verwachsen.
Heißgetränke und Ferkel
Konzerte dieser Art erscheinen zumindest exotisch, doch ein paar Straßenecken weiter, wird es bizarr. Yoshiaki und Yuriko, ein Paar aus der Stadt, schlendert gerade aus dem „Mipig-Café“, wo es 170 000 Yen gelassen hat. In dem Café kann man Heißgetränke schlürfen und dabei Ferkel streicheln. Oder eines der „Tea-Cup“-Schweinchen gleich mit nach Hause nehmen, so wie es Yoshiaki und Yuriko gemacht haben.
Gemeinsam mit ihrem umgerechnet rund 1200 Euro teuren quiekenden Einkauf posieren sie in der Tier-Transportbox fürs Foto. „Ein Schweinehäuschen für zu Hause haben wir schon“, sagt Yoshiaki. Nun soll das Ferkel zu ihrem langersehnten Haustier werden.
Mit dem Zug durch Japan: die Golden Route
Das facettenreiche Osaka – auch Food-Hauptstadt des Kaiserreichs, dazu später mehr – ist die letzte Station dieser Zugreise, die in Tokio beginnt.
Auf dem Plan steht die Goldene Route, eine klassische Reiseroute, die Metropolen, Bergregionen und heiße Quellen, Tempel und Schreine auf der Hauptinsel Honshū verbindet.
Ausgetretene Pfade? Pah, in Japan, wo kein Winkel unentdeckt geblieben und man niemals allein ist, kein Hinderungsgrund. Betriebsamkeit ist Kernelement von Japanreisen.
Tokio: Der größte Ballungsraum der Welt
Vor allem in Tokio, dem größten Ballungsraum der Welt. Der Ausblick von der 2019 eröffneten Shibuya Sky-Aussichtsplattform schweift über ein schier unendliches Häusermeer, das von 38 Millionen Bewohnern bevölkert wird. Noch den Pazifik sieht man, aber schon der Mount Fuji, Japans heiliger Berg, hüllt sich heute in Wolken, während 230 Meter weiter unten Menschenmassen über die berühmte Shibuya-Kreuzung mit ihrem diagonal verlaufenden Zebrastreifen hetzen.
Eine Traube hat sich vor einem bronzenen Hund gebildet, die Figur zeigt von Hachiko, der auch nach dem Tod seines Herrchens noch über zehn Jahre zum Bahnhof Shibuya gekommen sein soll, um ihn dort abzuholen.
Eine Art moderner Schrein in der an bedeutenden Schreinen und Tempeln reichen Hauptstadt. Beispiel: Der für tokioter Verhältnisse nur einen Steinwurf (15 U-Bahn-Minuten plus Fußweg) entfernte Meiji-Schrein im Yoyogi-Park, einer grünen Lunge der Stadt.
Die Anfänge des modernen Japans
Gewidmet ist die Shintō-Stätte dem Meiji-Tenno und seiner Gemahlin, die für die Öffnung Japans stehen. Unter ihnen wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Shogunat und damit das Feudalsystem abgeschafft und der Weg zur modernen Nation geebnet.
„Zuvor war Japan über Jahrhunderte von der Außenwelt abgekapselt und hatte die industrielle Revolution verpasst“, sagt Reiseleiterin Masako Hashimoto. Gläubige schreiten zum Gebäude, halten inne, klatschen zweimal, beten und verbeugen sich.
Mit dem Odoriko in den Onsen
Nächste Station der Reise mit dem Zug durch Japan ist Ito, wir sitzen im Odoriko Limited Express, ein Regionalzug, nach Ito auf der Izu-Halbinsel, 130 Kilometer entferntes „Nah“-Erholungsgebiet Tokios. Bekannt ist die 69.000-Einwohner-Stadt am dunkelsandigen Pazifik für ihre Onsen. Der Begriff bedeutet „heißes Wasser“, doch wird er auch für die im vulkanisch geprägten Japan weit verbreiteten Thermalbäder selbst benutzt. 3000 davon gibt es im ganzen Land, allein 60 registrierte Betriebe in Ito.
Wir checken im „Club Ito Onsen Yunoniwa“ ein, ein Hotel, das die Kultur sozusagen auf’s Zimmer bringt. Im verglasten Bad wartet ein Privat-Onsen. Rund um die Uhr ergießt sich mit 41 Grad Thermalwasser plätschernd in die übergroße Wanne.
Heiliges Heißwasser
Jederzeit kann man den Jungbrunnen nutzen. Sozial interessanter ist der öffentliche Hotel-Onsen. Vom Kimono entledigt zählt die am Beckenrand exerzierte Ganzkörperwäsche zu den Gepflogenheiten, für die man sich, meist auf einem Plastikhöckerchen zur Wand gedreht kauernd, mit bereitstehenden Utensilien einseift. Das heilige Heißwasser darf niemals verunreinigt werden.
Am nächsten Tag begegnen uns schon wieder Schweine. An Straßenecken stehen die Paarhufer als Bronze. Die Figuren gehen auf eine Legende zurück, nach der ein verletztes Wildschwein aus den Bergen die Straße runter getrottet kam, um sich im Schwefelwasser zu kurieren. Eine Bäckerei nutzt die Geschichte zur Geschäftsidee: Im Schaufenster sind Kartons mit hübschen Wildschweinzeichnungen ausgestellt.
Mit dem Zug durch Japan: Köstlichkeiten aus der Küche
„Wildschweinkuchen“, sagt Masako und lacht. Im Hotel gibt es am Abend – nein – kein Wildschwein, das in der japanischen Küche so gut wie keine Rolle spielt, aber stellvertretend für das japanische Essen Köstlichkeiten in Mannigfaltigkeit: Sie tragen Namen wie Sakizuke, Zensai, Oshokuji oder Agemono-Tempura, das Highlight Daimono. Eine Suppe mit Rindfleisch und Gemüse, die man am Platz über der Flamme selbst gart.
Mit offenem Feuer und Getöse hält sich seit 1707 zum Glück der Fuji zurück, als der Vulkan das letzte Mal ausbrach. Bei der Weiterreise sehen wir ihn am nächsten Tag durch das Zugfenster. Ab und an lichtet sich der Wolkenschal und gibt Teile seiner Zuckerglasur aus Schnee frei.
Golden Route in Japan: Blick auf den Fuji
Das Besteigen des heiligen Berges, das örtliche Veranstalter in Fujinomiya während der Saison anbieten, steht nicht auf dem Programm der Golden Route. Besser so, denn auch am Fuji ist Overtourism ein Thema. Aber im Mount Fuji World Heritage Center, ein trichterförmiges umgekehrtes Abbild des Berges, ist immerhin ein virtuelles Erklimmen mit Wissensspritzen Programm.
Von Videoleinwänden, Schautafeln, Kunstwerken und Soundeffekten umgeben schlendert man auf einem spiralförmigen Gang nach oben und lernt viel darüber, wie der Berg Leben und Kultur beeinflusst hat.
Heilwasser zur Besänftigung des Berges
„Der Prognose wird er innerhalb der nächsten 30 Jahre zu 70 Prozent ausbrechen“, sagt Masako. Also leisten wir am nahen Schrein Fujisan Hongū Sengen Taisha unseren Beitrag, das zu unterbinden.
Gegen eine Spende von 200 Yen (1,50 Euro) dürfen wir das Heilwasser der Quelle Yushima-no-yu in eine PET-Flasche zapfen, um hoffentlich den wütenden Berggott weiterhin zu besänftigen.
Mit dem Zug durch Japan: endlich in den Shinkansen
Teil der Golden Route ist auch eine Fahrt in Japans berühmtem Schnellzug Shinkansen, der erstmals 1964 anlässlich der Olympischen Sommerspiele fuhr und heute bis zu 300 km/h durch die Landschaft donnert. Von Deutschland ist man teils ungeschliffenes Zugpersonal gewöhnt, nicht so in Japan.
Jedes Mal, wenn der Schaffner den Waggon auf dem Weg zum nächsten verlässt, dreht er sich um, und verbeugt sich so tief, dass man sich wundert, wie die Schirmmütze auf dem Haupt bleibt.
Einfahrt in Kiotos Hauptbahnhof: Das Stahlskelett mit Glasfassaden in futuristischer Bauweise bildet einen Gegensatz zur alten Bausubstanz, deren Prachtbauten und Anlagen entstanden, als Kioto von 794 bis 1868 Sitz der Kaiserfamilie war.
Ab dem ausgehenden 8. Jahrhundert war die Stadt für 800 Jahre die Hauptstadt Japans, im Zweiten Weltkrieg blieb sie vom Bombenhagel verschont. Heute befinden sich allein 14 Unesco-Weltkulturerbestätten im Stadtgebiet, darunter der mit Blattgold überzogene buddhistische Tempel Kinkaku-ji.
Die Teehäuser von Kioto
Besonders hübsch erhalten sind auch die traditionellen Teehäuser im Gion-Viertel, Ursprung der Geisha-Kultur in Japan. Gion ist eines der fünf Ausgehviertel der alten Kapitale. Holzhaus reiht sich an Holzhaus, davor hängen rote Papierlampions.
Noch heute erfahren Geishas, die in Kioto Geiko heißen, in „Okiya“ genannten Wohngemeinschaften unter den Fittichen einer Hausmutter ihre Ausbildung in Gesang, gehobener Konversation und Musizieren.
Wir fahren mit der U-Bahn zum Schloss Nijo-jo. Auf der Burganlage befindet sich die einzige erhaltene Shogunen-Residenz aus der Edo-Zeit. In die große Halle des Holzbaus kann man einen Blick werfen, hier dankte 1867 der letzte Shogun ab, damit ging die Edo-Zeit zu Ende, die Meji-Restauration setzte ein.
Auf der Golden Route in die kaiserliche Hauptstadt
Wer auf dem bekannten Nachtigallenparkett läuft, erzeugt Geräusche wie Vogelgezwitscher, weil die Hölzer unter dem Gewicht aneinander reiben. Einst sollte dieser Vorläufer des modernen Bewegungssensors vor Eindringlingen warnen.
Im Reigen der alten Kapitalen darf Nara nicht fehlen, das ab 710 erste ständige kaiserliche Hauptstadt war. Stars sind heute die heiligen Sika-Hirsche im Nara-Park.
1200 dieser als Götterboten verehrten Tiere, deren Vorfahren aus dem nahen Urwald stammen, trotten zahm umher und betteln nach Futter, das in Keksform an Ständen verkauft wird und sie standortfest und zur verlässlichen Attraktion macht.
Osaka: Japans Streetfood-Himmel
Doch kommen Touristen auch wegen des shintoistischen Kasuga-Schreins mit seinen tausenden Laternen und dem Todai-ji, einer der größten buddhistischen Tempel und „größtes Holzbauwerk der Welt“, so Masako. Es beherbergt eine 15 Meter hohe Statue des Erwachten.
Krebse, Kraken und Muscheln in Maxi-Größe schließlich empfangen uns auf der mit großen Leuchtreklamen und bunten Werbetafeln übersäten Straße entlang des Dotonbori-Kanals, die zu glimmen beginnen.
Gegen Abend sind wir nach einer weiteren Schienentappe im Streetfood-Himmel Japans angekommen: Osaka. Über den Ständen zeigen die Riesenskulpturen an, was es darunter an Ständen Leckeres zu kaufen gibt. Es dampft an Grills, es duftet. Die Leute stehen Schlange, etwa um in Holzformen gepresstes Sushi zu ergattern, eine Spezialität Osakas.
Secondhand-Läden und Schuhe aus Cottbus
Mit dem Bau des Kanals im Jahr 1612 als Handelsweg wurde einst die Keimzelle des Kommerzes in Japan geschaffen, erläutert Masako, noch heute ist Osaka mit großem Hafen ein wichtiges Industriezentrum.
Was die internationalen Verflechtungen so hervorbringen, zeigt sich noch einmal in Amerikamura in einem der Second-Handläden. Bei „West Coast Anchor“, wo Jeans aus den USA nach Modellen und Größen sortiert sind, so groß ist das Angebot.
An einem Kleiderständer hängen Trainingsjacken mit Aufdrucken auch aus Deutschland: „Lausitzer Sportschule Cottbus“. Sie erinnern daran: Irgendwann geht es zurück nach Hause. Doch die Lust auf die Heimreise will sich nicht so recht einstellen.
Informationen zur Reise mit dem Zug durch Japan
Anreise: ab München mit EVA Air bis Tokio (Zwischenstopp in Taipeh), zwei Gepäckstücke à 23 Kilo in der Economy inklusive. Nonstop-Flüge am Frankfurt am Main mit All Nippon Airways und Lufthansa.
Unterkünfte bei der Zugreise durch Japan
Tokio: Hotel Monterey Ginza (hotelmonterey.co.jp/en/ginza/), zentral im Bezirk Chiyoda gelegen, DZ für zwei Personen: 16 600 Yen (ca. 110 Euro).
Ito: Club Ito Onsen Yunoniwa (laforet.co.jp/en/ito/) mit Privat-Onsen und ausgezeichnetem Restaurant. DZ mit Onsen für zwei Personen: 35 000 Yen (ca. 230 Euro)
Kioto: Hotel New Hankyu (hankyu-hotel.com/en) gegenüber dem Bahnhof, mit klassischem Frühstück auf Tabletts serviert (Reis, Noriblättern, Fisch, Tofu, Misosuppe und grünem Tee), DZ für zwei Personen: 14 500 Yen (ca. 95 Euro)
Zugfahren: Ausländer mit Temporary Visitors-Status können den im ganzen Land gültigen Japan Rail Pass nutzen. Er kostet für eine Woche rund 240 Euro und kann aber auch mit zwei oder drei Wochen Gültigkeit erworben werden. Der JR Pass darf im circa 25 000 Kilometer umfassenden Schienennetz auch für Fahrten mit dem Shinkansen genutzt werden, nur die Superexpresszüge Nozomi und Mizuho sind ausgenommen. Für öffentliche Verkehrsmittel wie U-Bahnen, Busse und Nahverkehrszüge empfiehlt sich die wiederaufladbare Suica-Card.
Allgemeine Informationen zur Reise mit dem Zug durch Japan: Japan National Tourism Organization (JNTO).
Text und Bilder zur Geschichte über die Reise mit dem Zug nach Japan: Stefan Weißenborn, zuletzt geprüft im September 2023.
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