Es ist ein kalter Januarmorgen. Doch der Raureif auf der Windschutzscheibe des Beetle ist geschmolzen, bevor wir uns in den State Park aufmachen. Wir hoffen Manatees in Wakulla Springs zu sichten. Einer jener Orte in Florida, die kaum ein Mensch kennt. Außer Film-Freaks, denn der verwunschene State Park ist eine klassikererprobte Kulisse: Teile von „Tarzan“ und „Creature from the Black Lagoon“ wurden hier im zugewucherten Niemandsland zwischen Golfküste und der Hauptstadt Tallahassee gedreht.
Am Portal grüßt einer jener gleichbleibend freundlichen Park Ranger: „Das wird ein guter Tag“, sagt er. „Nehmt das Boot um 10 Uhr.“ Nach ein paar Minuten parken wir den Wagen. Die Sonne scheint. Es ist windstill. Und wir sind die einzigen Besucher, die die Manatees in Wakulla Springs um diese Uhrzeit zu sehen hoffen. Die Privilegien des Gelegenheits-Earlybird.
Schwarzgeier kreisen in der Luft über Wakulla Springs
Wir sehen ein regungsloses Gewässer, in dem sich Sumpfzypressen spiegeln. Von den Ästen hängt Spanish Moss herunter. Wie Lametta. Und in rauen Mengen, als hätten alle Fabriken Nordfloridas den Auftrag, ausschließlich Bromeliengewächse zu produzieren. In der Luft kreisen Schwarzgeier. Und wir hören Laute aus der Tierwelt, die wir nicht eindeutig zuordnen können.
Bis das Boot ablegt, dauert es noch eine Weile. Also funktionieren wir den offenbar für Typen wie Johnny Weissmüller angelegten Sprungturm kurzerhand zur Aussichtsplattform um. Nach kurzer Zeit sehen wir Luftblasen aus dem Wasser aufsteigen. Danach zwei Nasenlöcher, die zu einem Körper gehören, der zugleich rund und länglich anmutet. Ein Manatee. Dann zwei. Und schließlich drei.
Die Rundschwanzseekühe sind vom Aussterben bedroht, weil Motorbootfahrer in ihrem Lebensraum wüten. Nicht so in Wakulla Springs, wo nur die wenigen Bötchen von Park Rangern navigiert werden. Aber das ist nicht der Grund ihrer Anwesenheit.
Manatees mögen es mollig warm
Viel mehr hat das Quellwasser hier im Norden von Florida eine gleichbleibende Temperatur von 21 Grad. Im Winter deutlich mehr als die meisten Gewässer in der Gegend. Und Manatees mögen es trotz einer bis zu fünf Zentimeter dicken Haut mollig warm.
Bald läutet der Kapitän zum Boarding. Nicht auf dem aus Holz gefertigten Glasbodenboot, das hier erfunden wurde. Dafür ist das immer noch glasklare Wasser heute nicht mehr durchsichtig genug. Die Gründe hierfür sind nicht hinreichend erforscht, doch gehen die Ranger davon aus, dass die Entwicklung des Großraumes Tallahassee Auswirkungen auf Wakulla Springs hat – einer der wasserreichsten Quellen der Welt.
Auch in dem neuerem Flüsterboot ist die Tour erhaben. Der Käptn grüßt in tiefstem Südstaatenkauderwelsch die archaischen Bewohner dieses außergewöhnlichen Lebensraums: Alligatoren, die unterhalb einer gedachten Linie von North Carolina bis nach Louisiana das Baden in Süßwasserseen zu einer kniffligen Angelegenheit machen.
Bald sehen wir eine weitere typische Spezies: Die Schnappschildkröte, die ihren Sinn für Geselligkeit auf eigenwillige Art und Weise auslebt. Im sumpfigen Zwischenreich lauert ein stattlicher Kanadareiher („Blue Heron“) auf Beute. Wenig beeindruckt von den allgegenwärtigen Alligatoren stapfen Weiß-Ibisse durchs Dickicht.
Schlangen vorm Bug
Ich blicke durch das Suchfeld meiner Kamera und traktiere den Auslöser mit hektischen Bewegungen. Dann habe ich plötzlich einen Zweig im Gesicht. Aus dem Heck ertönt erst ein gemeines Lachen. Bald darauf die Ansage, dass sich der Passagier im Bug vorsehen möge, denn in nur wenigen Zentimetern Entfernung befinde sich eine Schlange. Er meint mich natürlich.
Als er merkt, dass ich ihm nicht den Gefallen tue panisch aufzuspringen, gibt er Entwarnung. „Kannst sitzen bleiben, Alter“, sagt er. „Die ist nicht giftig.“ Aber Respekt für seinen trainierten Blick. Ich hätte das Viech nicht mit bloßem Auge aus zehn Meter Entfernung erkannt.
Der Käptn doziert nun über die Gepflogenheiten von Alligatoren. Die Mütter beschützen ihre Jungen, denn Baby-Gators haben es nicht leicht in ihren ersten Jahren. Aber wenn sie erst mal groß genug sind, müssen sich die Tiere auch vor den eigenen Müttern in Acht nehmen. Wenn grad nichts anderes greifbar ist, fressen sie ihren Nachwuchs. „Welcome to the foodchain“, meint er.
Nur Vögel aller Art sind einigermaßen sicher vor den Reptilien. Ihr Magen ist auf die Verdauung von Federn nicht ausgelegt. Und so zieht ein Moorhuhn unbeeindruckt seine Kreise im Quellwasser. Und der Argwohn eines Schlangenvogels („Aningha“) ist nicht mehr als Routine.
Als wir nach knapp 60 Minuten wieder in Richtung Anlegesteg tuckern, tauchen wieder verräterische Luftblasen aus dem Wasser aus. Bald sehr wir sie wieder: Manatees. Erst eines, dann zwei und schließlich drei. Wir erfahren, dass sie sich nun vermutlich in Richtung Küste aufmachen.
Im Laufe des Tages nämlich werde das Wasser ein wenig wärmer. Und dann könnten sich die Manatees dort auf Nahrungssuche begeben. Wer sie sehen möchte im Winter, der sollte also früh kommen. Am besten zur ersten Bootstour um 10 Uhr.
Informationen zu den Manatees in Wakulla Springs
Der Edward Ball Wakulla Spring State Park befindet sich auf halber Strecke zwischen Tallahassee und dem Golf von Mexiko. Zwar trägt der Küstenabschnitt den Titel „Florida’s forgotten coast“ und wirkt die ganze Gegend wenig erschlossen. Die Einsamkeit aber ist ein wenig trügerisch, denn der Großraum Tallahassee zählt mittlerweile um die 200.000 Einwohner.
Der Eintritt wird nach Automobilinsassen abgerechnet. Wer allein kommt, zahlt 4 Dollar, mit Passagieren kostet der Besuch 6 Dollar. Die Bootstour kostet 8 Dollar und ist jeden Cent wert. Im Sommer kann der Betrieb beträchtlich sein: Dann ist Hochsaison in Floridas Panhandle und es springen so viele Menschen vom Sprungturm ins Wasser, dass sich weder Manatees noch Alligatoren in die Gegend trauen.
Im Park befindet sich auch eine entzückende Lodge. Es ist die einzige ihrer Art in den 171 State Parks Floridas. Die Zimmer kommen ohne Fernseher aus. Doch keine Panik: Das Wifi ist gut.
Wer sich für Florida interessiert, mag vielleicht einen Blick in mein Buch für Merian werfen.
Text und Bilder der Geschichte über die Manatees in Wakulla Springs: Ralf Johnen. Ich habe die Geschichte zuletzt aktualisiert im Januar 2015. Die Reise ist in Zusammenarbeit mit Visit Florida zustandegekommen
6 Comments
[…] Der grandiose State park Wakulla Springs […]
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Toller Bericht und großartige Fotos! Wir waren letztes Jahr auch in Florida unterwegs, waren aber leider nicht in Wakulla Springs. Ein Grund mehr wieder nach Florida zu reisen! 🙂
Hey Antje, Dank für die netten Worte. Ich schreibe grad ein Buch über Florida – und meine Erwartungen wurden duetlich übertroffen. Viel Spaß, falls Du mal wieder dorthin gelangst!
Wunderbare Bilder. Die Stimmung ist voll eingefangen. Man glaubt, man ist selbst dort. Vielen Dank.
Hach, Siggi. Es ist so schön da. Aber lasst es euch gutgehen, das funktioniert auch hier… R