Das Wochenende im Safaripark steht im Zeichen des Totenkopfaffens. Mit dessen Konterfei nämlich ist unsere Camping-Parzelle in Beekse Bergen bei Tilburg markiert.
Kein unglückliches Etikett, gehört der erste Abend meines ersten Aufenthalts auf einem Camping-Platz seit Dekaden beim ersten Best Kept Secret-Festival doch den Arctic Monkeys.
Unsere Heimat für zwei Nächte befindet sich laut Karte an jenem Punkt des Areals, der vom Geschehen am weitesten entfernt ist: Auf einer millionärsvillagroßen Wiese, die direkt an den Wilhelmina-Kanal grenzt und die außer uns nur von zwei unscheinbaren Familien sowie einer Horde zutätowierter Hooligans aus Leverkusen bewohnt wird.
Warmtrinkphase beim Best Kept Secret Festival
Erste substanzielle Erkenntnis: Die Evolutionsgeschichte der Camping-Hardware ist nicht stehen geblieben, seit ich zwischen den kalifornischen Redwoods genächtigt habe. Das geliehene Zelt aus dem Hause Quechua baut sich dank mechanischer Spannung von selbst auf. Vier Heringe in den Boden und fertig. Das erhöht das Wifi-freie Zeitkontingent im Grünen und somit auch die obligate Warmtrinkphase, die beim routinierten Konzertgänger in der DNA zementiert ist.
Überhaupt hege ich eine unerwartete Sympathie für den Fun-for-all-the-family-Park (die Giraffen und Löwen übrigens befinden sich auf der anderen Straßenseite in einem Gehege, in dem keine Bands auftreten). Der See ist ebenso echt wie der duftende Mischwald. Die Bewohner machen im Vergleich zu australischen Tropenbesuchern einen gutmütigen und kontrollierten Eindruck. Und der voll ausgestattete Supermarkt hat sogar Ersatz für jene Gläser im Sortiment, die ich bald zerstören werde. Nach kritischer Beäugung der Sanitäranlagen habe ich keine Ahnung mehr, warum ich seit Mitte der 90er von diesem wiederkehrenden Traum verfolgt werde, dass meine erste preisgekrönte Geschichte den Titel „Barfuß im Dixie-Klo“ trägt.
Im Auftrag der ewigen Jugend
Während des halbstündigen Spaziergangs zu den Bühnen, der uns Parzellen mit weniger schmeichelhaften Namen wie Gnu und Truthhahngeier vorbeiführt, legt sich die Befürchtung, dass ich in den kommenden 60 Stunden skeptisch beäugt werden würde. Im Gegenteil: Auf dem zahlungspflichtigen Segment des Geländes scheint sogar die überwiegende Mehrheit im Auftrag der ewigen Jugend unterwegs zu sein. Ich entdecke mit Wohlwollen, dass diese sich mit T-Shirts von Joy Division oder Jesus & Mary Chain als Gesinnungsgenossen outen. Mein Festival-Bändchen trage ich nun gar mit einigem Stolz.
Während ich die letzten Takte der sympathisch-dumpfbackigen Bloc Party höre, stellt sich Euphorie ein: Der Himmel reißt auf. Der Safari-Park hat Strandbadqualitäten. Ich esse Bio-Saté und trinke Jupiler. Sogar die Analyse der Festival-Economics amüsiert mich: Ein Märkchen kostet zwei Euro, was mir bei jedem Zahlungsvorgang (Bier: 1,5 Märkchen) suggeriert, günstig unterwegs zu sein.
Dann zeigen die Arctic Monkeys, dass sie eine weithin unterschätzte Pop-Band in guter alter Merseyside-Tradition sind. Mit Hits und Haltung. Der Konzerttag aber bleibt kurz. Tyler, the Creator – ein nerdiger Rapper aus Kalifornien, fällt durch.
Durchwachsene Bilanz
Die Nacht ist die längste des Jahres. Sie ist weiß und wird vom Rauschen des Waldes orchestriert. Vorzüge eines Campingplatzes. Das heißt am nächsten Tag: Im Liegestuhl die Zeitung lesen, die Pilsener-Urquell-Bestände reduzieren. Irgendwann wieder zu den Bühnen laufen. Es ist früher Nachmittag, als Efterklang das Podium betreten. Geschniegelte Dänen, auf deren Auftritt ich mich vornehmlich wegen des Hits „Apples“ gefreut hatte, die aber seltsam blaß bleiben. Ein Vorausblick auf einen Tag voller vorgrammierter Enttäuschungen.
Bands wie Alt-J oder Two Door Cinema Club bestehen eben aus angepassten Bubis, die ohne irgendeine Form von Attitude oder künstlerischem Statement in kruden Versen mit Inbrunst über ihr belangloses Gefühlsleben sinnieren. Symptome einer Epoche, die ohne eine gewachsene Gegenkultur auskommen muss. Und zugleich Zeugnis einer kalkulierenden Musikergeneration, die sich nicht weit weg vom Mainstream bewegen darf, weil mit Tonträgern ja nichts mehr zu verdienen ist und man folglich auf eine breite Anhängerschaft angewiesen ist, die Konzerte besucht. Trauriges 2013.
Dazu passt, dass sich nur wenige Besucher als Teil einer Jugendbewegung verstehen. Anstelle gepflegter New-Wave-Outfits ziehen es einige heute vor, in Tierkostümen auf Festivals umherzulaufen, nicht, weil die Flaming Lips spielen würden, bei denen das auf der Bühne schon lange üblich ist, sondern weil in einem Karnevals-Outfit die Chancen für einen Cameo-Auftritt auf der Videoleinwand steigen.
Späte Erleuchtung mit The Swans
Während ich kulturskeptisch weitersinniere, gehe ich zur Bühne zwei. Hier sind wahrhaftig die Swans angesagt, jene Band, die ich als Oberstüfler während eines subversiven Festivals im bürgerlichen Bonn gesehen habe. Während ich seinerzeit mit The Fall (ich war und bin glühender Verehrer) den Butthole Surfers (Yes!) und Nick Cave, dem alten selbstverliebten Großkotz, einiges anfangen konnte, blieb mir diese Band ein Rätsel. Nun also eine erneute Begegnung mit dem Musikstil, der lange nach dem kurzen Aufleben der Swans einmal als Slow Core bezeichnet werden sollte.
Auf der Bühne stehen sechs schwarz gekleidete Herren zwischen 50 und 60, die vor wenigen Monaten der Versuchung nachgegeben haben, nach Jahrzehnten eines anderen Lebens noch einmal ein neues Album aufzunehmen. Es sind linkische Gestalten, wie sie in herausgeschnittenen Szenen von „Lost Highway“ vorkommen könnten, die mit ihren Instrumenten ein beispielloses Inferno erzeugen. Ein schreiender Widerspruch zum friedlichen Namen. Mastermind Michael Gira wedelt seine Haare wie einst der junge Jeffrey Lee Pierce, er zuckt wie Ian Curtis, er rotzt auf der Bühne herum. Es ist Headbanger’s Day. Seine Musiker bestechen durch brachiale Präzision.
Die Anhänger der seichten Kapellchen verlassen entsetzt das Zelt. Ich konstatiere: Es wird geraucht hier. Und ich frage mich, was die nordrhein-westfälischen Grünen wohl machen würden, wenn sie wüssten, dass so etwas kaum 100 Kilometer hinter der Landesgrenze noch möglich ist. Die Armee mobilisieren? Mit Panzern ausrücken? 30 Tote? Egal! Hauptsache, ihr haltet UNSERE GESETZE ein. Wie auch immer. Der Auftritt endet mit einer bewegenden Szene.
Gira und die anderen Fünf greifen einander bei den Händen und verbeugen sich mehrmals vor den begeisterten Aufrechten: „Thank you, see you in a year or so.“ Nach diesem versöhnlichen Ereignis macht es mir auch nichts weiter aus, dass mit Damien Rice später ein unerträglich larmoyanter Surfer Dude um Erlösung bittet. Ich ignoriere ihn und freue mich auf den Unterwasser-Techno von Pantha du Prince, der den Abend beschließt.
Endlich Punkrock im Safaripark
Dennoch: So sehr mich aber meine eigene sprühregenfeste Naturnähe begeistert – nach den ganzen gefälligen Kapellchen des Vortages bleibt musikalisch noch eine gewisse Leere. Modest Mouse haben abgesagt. Und ich will endlich Punkrock. Nachdem die Local Natives Hoffnung gemacht haben, positioniere ich mich optimistisch in der ersten Reihe von Zelt drei. Auftritt: No Age. Randy Randall und Dean Allen Spunt kommen um 17.30 Uhr auf die Bühne, drehen Verstärker und Fuzz Box auf und los geht es. 18 Miniaturen in 35 Minuten vor fachkundigem Publikum. Ohne Ansagen, ohne Balladen und ohne Geschmachte. Aber mit Haltung. Musik als Sport.
Nur Gitarre und Schlagzeug, das Spunt hin und wieder gegen einen Bass eintauscht. Als sie sich – offenbar schneller als erwartet – durch ihr Programm geprügelt haben, fragt Spunt: „What time is it? Where is the guy?“ OK, sie haben noch zehn Minuten. In Erwartung des Hits „Teen Creeps“ formen die Kenner auf dem Sandboden einen ausreichend großen Kreis zur Ausübung des Pogo-Tanzes. Ein Ritual, das in der heroischen Huldigung der Gitarre mitten im Publikum endet.
Das war befreiend. Mit mir und der Welt versöhnt, erwarte ich Kurt Vile and the Violators. Doch His Kurtness ist nervös – das Gebäude 9 hat ihm mehr behagt. Gelegenheit für einen eiligen Wechsel ins Zelt 2, wo sich Portishead für einen ihrer raren Auftritte angesagt haben. Ohne neues Material, aber mit jenem sublimen Gestus, der dafür bürgen wird, dass man sich auch in 50 Jahren noch an diese Band erinnern wird. Die Songs sind fragil und subversiv, tiefblau und zum Sterben schön. Der rechte Soundtrack für eine Rückfahrt in einer monderleuchteten Mittsommernacht.
Vorher allerdings gilt es noch das Wunderzelt wieder einzupacken. Und das gestaltet sich schwierig. Erst nach 75 Minuten und eingängigem Studium der kryptischen Anleitung gelingt uns.
Ralf Johnen, Juni 2013. Ich war privat in Beekse Bergen, der Libema Vakantiepark hat uns freundlicherweise den Zeltplatz kostenlos zur Verfügung gestellt.
2 Comments
Eine sehr schöne Beschreibung über das Festival in Holland.
Einer der wahrhaft seltenen Texte, in denen Totenkopfäffchen, Leverkusener, eine ausführliche Schmähung der Grünen und Portishead untergebracht wurden…Chapeau!